Hospiz- und Palliativeinrichtungen in Österreich

Das war der FACHTAG „Potenzial LEBEN! Bis zum Ende.“

veröffentlicht am

15. September 2023
Fachtag „Potenzial LEBEN! Bis zum Ende.“

Mit ca. 250 Teilnehmer:innen, 7 hochqualitativen Vorträgen & Gesprächen sowie 8 Workshops war der Fachtag von HOSPIZ ÖSTERREICH im wunderschönen Ambiente des Billrothhauses in Wien ein voller Erfolg.

Präsidentin Mag.a Barbara Schwarz und Geschäftsführerin Sonja Thalinger MSc begrüßten die Teilnehmer:innen. Der Hospizbotschafter und ehem. Leiter Interne Dienste und Stiftungen, Österreichischer Sparkassenverband und Fachverband der Sparkassen, Dr. Willibald Kraetschmer erinnerte an die Geschichte der langjährigen Kooperation mit HOSPIZ ÖSTERREICH und Mag.a Katharina Meichenitsch vom Gesundheits- und Sozialministerium gratulierte dem Dachverband und betonte die Erfolge seiner jahrzehntelangen Arbeit.

Zum 30-jährigen Bestehen von Hospiz Österreich standen an diesem Fachtag die Potenziale im Mittelpunkt, die allen im Bereich Hospiz und Palliative Care Tätigen zur Verfügung stehen, um den aktuellen und künftigen Herausforderungen begegnen zu können. Rainer Simader führte als Moderator, tatkräftig unterstützt von der wunderschönen, besonderen und talentierten Donna Quichotte, durch den vielfältigen, intensiven und interessanten Tag.

Zum Potenzial der Gemeinschaft sprach Assoc. Prof. Mag. Dr. Klaus Wegleitner von Caring Communities, der Vielfalt des Lebens veranschaulichte seine Ausführungen mit der Metapher des Tanzes. Als Soziologe und Sorgeforscher an der Abteilung Public Care des Instituts für Pastoraltheologie und -psychologie sowie als stellvertretender Leiter am Zentrum für Interdisziplinäre Alters- und Care-Forschung (CIRAC) an der Universität Graz betonte er, dass es über den Bereich der Sorge hinaus ganz generell um die Frage geht, wie wir in Zukunft miteinander leben wollen. Gefühl, Beziehung, Zuhören, Lernen – Das aufeinander Hören, das achtsame Zusammenspielen, die existentielle Tiefe und Weite von Care-Arbeit sind für alle Lebensbereiche relevant und Hospizarbeit bedeute somit auch demokratiepolitische  Prävention.

Das Hospiz- und Palliativfondsgesetz (HosPalFG) war das Thema der Gesprächsrunde Potential des Gesetzes mit Dr.in Ulrike van Appeldorn, MSc, vom Amt der Tiroler Landesregierung, Mag.a Katharina Meichenitsch, BMSGPK, Sektion IV, Pflegevorsorge, Behinderten- und Versorgungsangelegenheiten und Mag. Werner Mühlböck, MBA, Geschäftsführer der Tiroler Hospiz-Gemeinschaft. Das erfolgreiche Ringen der Hospizbewegung um gesetzliche Rahmenbedingungen, darf die Bewegung nun nicht erstarren und erkalten lassen. Das Gesetz soll Rahmen und Struktur bieten, aber auch lokale Anpassung ermöglichen. Qualitätskriterien sind essenziell, bedeuten aber auch Zugang zu Geld und Geschäft. Daher ist für eine erfolgreiche Umsetzung eine gute, vertrauensvolle, transparente Zusammenarbeit zwischen allen Akteuren, Behörden & Trägern, Bund, Ländern, Sozialversicherung und Hospizvereinen unabdingbar. Nur dann kann die Hospizbewegung sich der Weiterentwicklung der Sorgekultur widmen und neue Konzepte und Angebote erarbeiten.

Dr.in Regina Jones, Kinderärztin an der Uniklinik für Kinder- & Jugendheilkunde in Salzburg setzte sich in ihrem Vortrag Potenzial der Zeit – Wenn Jugendliche Erwachsene werden: Transition als Herausforderung in der Hospiz- und Palliativversorgung mit einem Thema auseinander, das in Österreich nicht gut funktioniert. Obwohl die Zahl der Patient:innen stark wächst (in Österreich von 5.000 Patient:innen 2020 auf 12.360 im Jahr 2030) ist die Erwachsenenmedizin- und Pflege noch immer nicht gut auf die Übernahme von Patient:innen aus der Palliativpädiatrie eingerichtet. Problematisch in der Transition sind: Zeitpunkt (18 Jahre sind nicht für alle gleich), Diagnosen (Krankheiten sind im Erwachsenenbereich oft nicht bekannt) und Betreuungsstrukturen. Jones formulierte daher als vorrangigste Ziele: die Definition von Transitionskriterien, die Schaffung interdisziplinärerer Transitionsambulanzen und die Gewährleistung der Betreuungskontinuität.

Potenzial des Miteinanders, Hospizkultur und Palliative Care an der Nahtstelle zwischen Grundversorgung und spezialisierten Versorgung in Österreich – eine vielfältige Landschaft, darüber sprach Dr. Harald Retschitzegger MSc. Es war ein Plädoyer für eine Durchdringung des Systems mit Hospiz und Palliative Care – Haltung, -Wissen und -Fertigkeiten, für die Kooperation der verschiedenen Bereiche (Grundversorgung und spezialisierte Versorgung, Hauptamtliche und Ehrenamtliche, stationär und mobil) und Interprofessionalität. Er forderte ein „mehrdimensionales“ Miteinander in den Strukturen, die Anwendung vorhandener Tools wie SPICT (Supportive and Palliative Care Indicators‘ Tool) oder des Calgary Cambridge Guide und z.B. frühe Lebens- und Therapiezielgespräche, die Achtung des freien Willens der Patient:innen und zeitgerechte palliative Kompetenz. Für die Zukunft ist es wichtig, die Verwendung der Spezialisierung Palliativmedizin zu fördern, Palliativmediziner in Tumorboards und onkologische Konferenzen zu integrieren und für mehr „Patientendienlichkeit“ Hospiz und Palliative Care-Beauftragte als Standard in der Grundversorgung zu etablieren. Es brauche bessere Kommunikation, Investitionen in die Strukturen und den Beziehungsaufbau sind hier gleichermaßen wichtig.

Nach der Mittagspause mit Lunchpaketen und Vernetzung gab es 8 Workshops à 90 Minuten zu folgenden Themen:

  • Würdezentrierte Therapie – Mehr als ein liebevoller Blick zurück, Manuela Straub, MSc, Dr. Stefan Dinges, PM.ME
  • Rehabilitation und Palliative Care: Förderung der gesunden Anteile als Ansatz der Palliative Care, Petra Kozisnik, BSc
  • „Ich bin zu nichts mehr gut und nur mehr eine Last. Ich will sterben!“ Ein ressourcenorientiertes Tool für lebensMÜDE Menschen zur Erhebung und Steigerung des Aktivitätslevels, Brigitte Loder-Fink, MSc
  • Potenzial Humor: Die Leichtigkeit des Augenblicks, Verena Vondrak
  • Generationsübergreifendes Ehrenamt – Junge Menschen interessieren, stärken und beteiligen, Dr.in Bernadette Groebe
  • Potenzial VSD Vorsorgedialog® – ein Netzwerk für die letzten Wünsche in der Pflege und Betreuung zu Hause, Susanne Csengel, Hermine Freitag, Harald Peterka
  • Interdisziplinäre Palliativambulanz – eine Nahtstelle in der Hospiz- und Palliativlandschaft, in Gabriele Hofer, Dr.in Andrea Knoflach-Gabis
  • Entwicklung fordert uns heraus: Palliativversorgung von und mit Menschen mit einer intellektuellen und komplexen Beeinträchtigung, Barbara Hartmann, MSc

Anschließend sprach Markus Starklauf zum Potenzial der Haltung in der Hospiz- und Palliativversorgung. Nach Derek Doyle besteht Hospiz und Palliative Care zu 90% aus Haltung und zu 10% aus Wissen. Starklauf beschreibt die Haltung als inklusiv, solidarisch, loyal, mutig, sorgend, absichtslos und sich auf den Augenblick einlassend, getragen von radikaler Patientenorientierung, Wertschätzung und Respekt, Achtsamkeit und Wärme, Zuhören und Empathie sowie Ehrlichkeit in Bezug auf eigene Ängste und Grenzen. Haltung ist suchend und nicht dogmatisch, gelebtes Nicht-Wissen statt dem vorschnellen Gefühl zu verstehen und Bescheidenheit in Bezug auf die eigenen Interventionsmöglichkeiten. Weil Bedarf an Hospiz und Palliative Care und die verfügbaren Ressourcen in Zukunft nicht in gleichem Maß wachsen werden, formulierte Starklauf folgende Ziele:
Die Menschen müssen stärker selbst ermächtigt und mit Kompetenzen ausgestattet werden. Hospizkultur soll weniger abwarten, denn aufsuchen, ihre Botschaft aktiv in die Öffentlichkeit bringen, sich selbstbewusst als Teil des Lebens präsentieren. In Zeiten allgemeiner Verunsicherung dient die hospizliche Haltung auch zur Reflexion der eigenen Vergänglichkeit. Es gelte die Haltung vor Erstarrung zu bewahren, indem man sich immer wieder neu erfindet und nicht aufhört Fragen zu stellen.

Mag. Leena Pelttari MSc, bis 2022 25 Jahre lang Geschäftsführerin des Dachverband Hospiz Österreich, erinnerte in Ihrem Vortrag zum Potenzial der Wissenschaft vor der Verleihung des Hildegard Teuschl Preises an Sr Hildegard Teuschl als Pionieren und Gründerin der Hospizbewegung in Österreich. Sie würdigte sie als Frau der Tat und der Vision, als spirituelle Ordensfrau mit einem gesellschaftspolitischen Auftrag, mit der sie schon früh zusammenarbeiten und von der sie viel lernen durfte.

Drei Preisträgerinnen wurden 2023 mit dem von der Peter Dornier Stiftung unterstützten Hildegard Teuschl Preis ausgezeichnet:

Der 1. Preis ging an Dr.in Jennifer Brandt MSc, Kinderärztin an der Pädiatrischen Intensivstation im AKH, Wien für ihre Masterarbeit in Palliativer Pädiatrie mit dem Titel  „Impact of communicational training for breaking bad news in pediatrics“. Die Studie unterstreicht die Notwendigkeit simulationsbasierter Trainings für das Überbringen schlechter Nachrichten. Die Art und Weise, wie Ärzte schlechte Nachrichten überbringen, Gespräche über das Lebensende führen oder eine Todesnachricht überbringen, beeinflusst nicht nur viele psychosoziale Aspekte des Lebens der Familien, sondern auch verschiedene anstehenden Entscheidungen.

Dr. Karin Koisser, MSc (OÄ LKH Horn, Allgemein, Viszeral- und Gefäßchirurgie) bekam den 2. Preis für ihre Arbeit: „Wenn die Hämodialyse beendet wird … Wie erleben Dialyseteams den Abschied von ihren Patient*innen im Spannungsfeld zwischen High-techMedizin und Bedürfnissen am Lebensende?“ Ziel der Arbeit war es, herauszufinden, wie ein Team aus Nephrolog*innen und Pflegepersonen die Hämodialyse betagter Patient*innen erlebt und welchen Herausforderungen es sich dabei stellen muss. Die Wünsche von Patient*innen, die Hämodialyse zu beenden, stellte dabei einen wesentlichen Aspekt der Arbeit dar.

Und Simone Saringer-Siegl, APN (Pflegeperson Abteilung Pädiatrie, Universitätsklinikum Salzburg) bekam ex aequo den 2. Preis für ihre Masterarbeit: „Die pädiatrische Palliative Care im Kinderzentrum des UK Salzburg – die Rolle der Advanced Practice Nurse im klinischen Alltag“.
Darin wird gezeigt, dass die Pädiatrische Palliative Care (PPC) als herausfordernde Tätigkeit gesehen wird, die hohes emotionales Engagement erfordert, auf gegenseitigem Vertrauen beruht sowie professionelles Handeln verlangt. Pflegende wünschen sich Unterstützung durch PPC-Teams sowie eine Ansprechpartner*in, die emotional und fachlich zur Seite steht.

Zum Abschluss sprach Heiner Melching, Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Pallaitivmedizin (DGP) in seinem engagierten und kurzweiligen Vortrag über das Potenzial der Gesellschaft – Sterben geht uns alle an! Er warnte vor der Gefahr der Ökonomisierung und Institutionalisierung auch der Hospiz und Palliative Care, analog zum Gesundheitssystem. Die Werteverschiebung in der Gesellschaft dürfe nicht dazu führen, dass Gesundheit und Bildung nach den Regeln des Marktes und des Kapitalismus ausgerichtet werden. Im Gegenteil wäre es nicht schlecht, wenn eines Tages Hospize und Palliativstationen überflüssig würden, weil in den Krankenhäusern und Heimen alle über ausreichend Wissen und Haltung zu Hospiz- und Palliative Care verfügen. Bei aller Notwendigkeit sei der Professionalismus auch eine Gefahr für das gesellschaftliche Engagement. Wichtig sei es, statt Dinge mehr und mehr zu delegieren, die Hospizkultur wieder in die Gesellschaft zurückzuholen – durch Kommunikation, niederschwellige Angebote wie Hospiz macht Schule und Letzte Hilfe Kurse oder Aktionen wie „Sterbestammtisch Tod-Reden“ und Workshop-Angebote zum Beispiel auch an Unternehmen. Er schloss mit einem Appell: „Wir müssen wieder lernen, uns Menschen anzuvertrauen und Verantwortung zu übernehmen! Denn die Hospiz- und Palliative Care-Bewegung ist eine Wertegemeinschaft mit einem gesellschaftlichen Auftrag, der über die Themen Tod und Sterben hinausreicht.“

Wir danken allen Vortragenden, Diskutanten, Teilnehmer:innen und allen, die durch ihre Potentiale zum Gelingen dieses Fachtags beigetragen haben, sehr, sehr herzlich!

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