Hospiz- und Palliativeinrichtungen in Österreich

Was bleibt am Schluss?

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Ein Gespräch über vorausschauende Planung und den VSD Vorsorgedialog® im mobilen Setting

Sabine erzählt

„Heute war ich wieder bei Herrn Karl… zuerst wollte er gar nicht öffnen, hat es dann aber doch gemacht. Ich hab‘ gleich gesehen, dass er keinen guten Tag hat. Er hat zu mir gesagt „Am liebsten wär‘ ich schon tot… bei der Gusti, oben. Aber jetzt schauen‘S mich an. Zu nichts mehr zu gebrauchen.“ Ich weiß dann gar nicht, was ich sagen soll und versuche ihn abzulenken, manchmal klappts…“

Herr Karl erzählt

„Und dann pumpert sie an die Tür und ruft laut nach mir. Ich will aber nicht, dass jemand in meine Wohnung kommt. Es ist mir viel zu früh, ich will so früh niemanden in meiner Wohnung haben! Was, wenn die mich ausraubt? Was, wenn sie mir etwas Böses will? Nein, ich kenn die nicht, die lass‘ ich sicher nicht rein.. was soll ich denn noch hier?“

Häufig ist die Betreuungssituation zwischen Betreutem und Betreuendem ausgeglichen und von gegenseitigem Respekt und Wohlwollen gekennzeichnet. Immer wieder aber berichten Mitarbeiter:innen der mobilen Pflege- und Betreuungsdienste, dass jene Menschen, die sie eigentlich betreuen oder pflegen sollten, diese Unterstützung ablehnen oder verweigern. Begleitung. Betreuung und Pflege zu Hause bis zum Schluss kann dann herausfordernd werden.

Marianne Buchegger (MB):
Schnell kann in solchen Situationen der Eindruck entstehen, dass Menschen wie Herr Karl nicht erreicht werden wollen. Ist das wirklich so und wie kann eine Betreuung dann trotzdem funktionieren?

Manuela Tschuk (MT)
Man könnte annehmen, dass Menschen, die zu Hause betreut werden, schon allein deswegen erreicht wurden, weil ein Betreuungsangebot angenommen wurde.  Bis zu einem gewissen Teil stimmt das auch. Alte oder kranke Menschen, die allein zu Hause leben, nehmen oft Betreuung in Anspruch… damit haben wir sie zu einem gewissen Grad erreicht. Aber nicht alle diese Menschen haben sich das so gewünscht.

Oft habe ich erlebt, dass unsere Unterstützungsangebote nur sehr ungern angenommen wurden. Wir hören dann: „Eigentlich brauch ich euch nicht“, „Wer hat euch bestellt“, „Ich kann eh alles allein“ oder „Na gut wenn ihr schon da seid, vielleicht ein bisschen Haushalt.“ oder „…bis ich es wieder alleine kann“. Mitunter wird einem geringen Ausmaß an Betreuung zugestimmt, der Bedarf wäre aber eigentlich viel höher. Und manchmal werden wir auch vor der Tür wieder weggeschickt.

Alles, was Menschen mit zunehmendem Alter aufgrund körperlicher oder geistiger Beeinträchtigung nicht mehr können, wird als schmerzhafter Verlust empfunden. Und meist ist es nicht nur ein Verlust, sondern mehrere Verluste. Das tut dann weh, und zwar immer wieder weh. Hilfe annehmen zu müssen, mit diesen Verlusten konfrontiert zu sein, fällt den Menschen verständlicherweise sehr schwer.

MB:
Welche Möglichkeiten haben die Mitarbeiter:innen, mit diesen herausfordernden Situationen umzugehen?

MT:
Ich denke, es sind Beziehungen, die das Leben reich machen, und so ist es, vermute ich, auch gegen Ende des Lebens. Ein Gefühl der Verbundenheit ist wichtig, damit das Leben als sinnhaft erfahren wird. Natürlich braucht es Zeit, um in Beziehung zu kommen. Diese Ressource haben wir leider nicht immer.  Manchmal schaffen wir es auch nicht, richtig hinzuhören oder überhören das Bedürfnis, gehört zu werden, überhören, was uns die Menschen wirklich sagen wollen. Um die Bedürfnisse der von uns betreuten Menschen gut wahrnehmen können und uns dabei selbst nicht zu überfordern, ist ständige Auseinandersetzung und Sensibilisierung zu den Themen von Hospiz und Palliative Care (HPC) wichtig, z.B. zum Konzept von Total Pain oder HPC mobil Fortbildungen.

MB:
Ein wichtiger Teil innerhalb der HPC mobil Fortbildung ist der Teil der vorausschauenden Planung. Wie kann vorausschauende Planung Mitarbeiter:innen dabei unterstützen, die Wünsche und Bedürfnisse der Klient:innen besser wahrzunehmen?

MT:
Vorausschauende Planung unterstützt die Selbstbestimmung am Lebensende. Es geht darum, ein gutes Leben bis zum Ende zu ermöglichen. Der Fokus liegt auf der Lebensqualität. Vorausschauend planen bedeutet, immer wieder ins Gespräch zu kommen und zu versuchen, gemeinsam Lösungen für Entscheidungsszenarien zu finden.  Wir werden älter, die Krankheitsverläufe länger. In diesen Verläufen können öfter Krisensituationen auftreten, die Entscheidungen erfordern. Also müssen wir in der Pflege bzw. das Behandlungsteam, Arzt/Ärztin wissen, wie in Krisensituationen gehandelt werden soll und was die betreffende Person für ihr gutes Leben wünscht.

MB:
Für diese sensiblen Gesprächsprozesse ist eine gute Dokumentation wichtig, damit nichts vom Gesagten verloren geht. Wie kann dies zu Hause gut gelingen?

MT:
Es ist uns immer wieder passiert, dass wir im Laufe der Pflegebeziehung viel über die Klient:innen gehört und erfahren haben, dies aber nicht ausreichend dokumentiert haben.

In einer Krisensituation mussten wir dann gegen den Wunsch der betroffenen Person entscheiden, weil Kommunikation nicht mehr möglich war und keine Dokumentation zu den Wünschen vorlag. Daran versuchen wir zu arbeiten und haben gemeinsam mit Hospiz Österreich, der Caritas Wien und dem Arbeiter Samariterbund 2021 das Pilotprojekt VSD Vorsorgedialog® im mobilen Stetting ins Leben gerufen. Der VSD Vorsorgedialog ist ein Instrument der vorausschauenden Planung und ein Gesprächsprozess, bei dem die Betreuungspersonen in mehreren Gesprächsrunden gemeinsam mit dem Klienten, der Klientin und den An- und Zugehörigen, sowie dem Hausarzt/der Hausärztin versuchen, den Willen und die Wünsche in Krisensituationen am Lebensende zu erfassen.

Ein weiterer, wichtiger Teil ist aber auch die Frage nach der Lebensqualität und, was Lebensqualität für den betroffenen Menschen bedeutet. Letztendlich geht es darum, die für den betroffenen Menschen beste Lösung zu finden.

MB:
Vielen Dank für das Gespräch

Manuela Tschuk ist Diplomierte Krankenpflegerin, Palliativbeauftragte und Ehrenamtskoordinatorin der Betreuung zu Hause der CS Caritas Socialis GmbH. Gemeinsam mit Kolleg:innen der Caritas Wien und des Arbeiter Samariterbunds Wien ist sie Projektverantwortliche des VSD Mobil Pilotprojekts in Wien

Das Gespräch führte Marianne Buchegger

Bildquelle: pexels
Quellen:
https://www.hospiz.at/fachwelt/vorsorgedialog/
https://www.hospiz.at/wordpress/wp-content/uploads/2023/03/Infoblatt-HPC-Mobil_Entscheidungen-am-Lebensende_8.7.2022.pdf