Hospiz- und Palliativeinrichtungen in Österreich

MITTEN IM LEBEN: Palliative Care auf Instagram

veröffentlicht am

Michaela Bayer und Sara Loy sind Pflegepersonen, sie arbeiten auf der Palliativstation im LMU Klinikum München und betreiben den Instagram Account ELSA.PALLIATIVE.CARE.

Dort geben sie Einblick in den Alltag einer Palliativstation, teilen ihre Emotionen und wie sie selbst mit Leid umgehen, erklären anschaulich, was „palliativ“ ist und, woran man erkennt, dass ein Mensch in Kürze sterben wird. Mit über 30.000 Followern waren sie für den Kommunikationspreis der deutschen Palliativgesellschaft nominiert.

Doch wie passt dieser fast grenzenlose virtuelle Raum mit der Intimität des Sterbens zusammen? Warum machen die beiden das? Was bewirken sie? Darüber habe ich mit den beiden gesprochen.

Wenn ich auf Ihre Insta-Seite gehe, bin ich gelegentlich irritiert, positiv irritiert, dass Sie sich so mutig auch in Ihrer Verletzlichkeit zeigen und direkt mit dem Thema umgehen. Wie kam es dazu?

Sara Loy: „Der Bayerische Rundfunk hatte auf der Palliativstation eine Dokumentation über Sterben und Tod gedreht und da ist uns aufgefallen, dass zu dem Thema wenig Öffentlichkeitsarbeit stattfindet oder sich wenige dafür interessieren und wenn, dann nur an bestimmen Feiertagen. Dann hatten wir die Idee in einem gemeinsamen Dienst.“

Michaela Bayer: „Zunächst wollten wir von der Chefärztin Prof. Dr. Claudia Bausewein wissen, was sie davon hält und ob sie uns grünes Licht geben würde. Sie stärkte uns von Anfang an den Rücken. Da wir nach wenigen Wochen schon 500 Follower:innen hatten, begannen wir den Insta-Kanal strategisch und logisch aufzubauen.“

Warum glauben Sie, dass Ihr Account so gut ankommt?

Sara Loy: „In den Reaktionen, die wir bekommen, heißt es oft, dass wir das Thema sehr einfühlsam, leicht verständlich und auch sehr nahbar erläutern. Das ist für viele sehr wichtig. Sie haben das Gefühl, dabei sein zu können. Dass wir sie miteinbeziehen, wie wir es auf der Station mit Angehörigen auch tun.“

In der Tat hat man schnell das Gefühl, dass der Alltag auf der Palliativstation für jeden Menschen ein wichtiges Thema ist. Es werden wenig Fachbegriffe verwendet und Vorgänge so erklärt, dass auch Laien sie umsetzen könnten, wenn sie in dieser Situation wären. Sara und Michaela sind sehr ehrlich, zeigen wie schön die Arbeit ist, aber auch, wie viel Kraft sie manchmal kostet.

Wer ist Eure Zielgruppe?

„Wir versuchen, jeden mit dem Thema anzusprechen, also interessierte Laien, Kolleg:innen aller Berufsgruppen, Betroffene, Zu- und Angehörige sowie Patient:innen.

Seht Ihr einen Vorteil darin, dass Ihr selbst noch jünger seid?

„Vermutlich ja“, meint Sara Loy, „denn dadurch kann sich wahrscheinlich auch die junge Generation eher damit identifizieren oder merken, dass es okay ist sich auch frühzeitig mit dem Thema zu beschäftigen.“

Michaela Bayer bestätigt das und ergänzt: „Es ist ein großer Vorteil, dass Instagram jederzeit für jeden erreichbar ist und die Follower:innen somit ohne großen Aufwand an Informationen kommen. Ich kann mir vorstellen, dass sich einige Betroffene oder Zu- und Angehörige von schwer kranken Menschen nach Einfachheit sehnen und es für sie eine Überwindung bedeutet, offizielle Stellen anzurufen, um sich zu informieren.“

Stellen Patient:innen und An- und Zugehörige Euch auch konkrete Fragen?

Michaela Bayer bestätigt: „Wir wurden mittlerweile schon mehrfach von Menschen angeschrieben, die eine schwere Diagnose erhalten haben, und sich dafür bedankt haben, dass wir das Thema enttabuisieren, weil die Palliativmedizin im kurativen Bereich wohl oft sehr stiefmütterlich behandelt wird.

Einmal kam es auch vor, dass mich eine Patientin auf Station gefragt hat, ob ich nicht die von dem Instagram-Kanal bin. Das hat mich kurzzeitig etwas überfordert, auch, sozusagen im wahren Leben, erkannt zu werden, dann hat es mich aber auch sehr gefreut“.

Über Kommentare von An- und Zugehörigen meint Sarah Loy: „Ja, da kommen einige und das macht uns sehr stolz. Wir haben auch schon öfters von ehemaligen Angehörigen Nachrichten bekommen, dass sie sich weiterhin für die gute Betreuung bedanken wollen – auch wenn diese schon mehrere Jahre zurückliegt“.

Michaela Bayer ergänzt: „Es kann für andere, vielleicht aktuell Betroffene sehr hilfreich sein zu erleben, dass andere Menschen, obwohl sie einen Verlust erlitten haben, dennoch Dankbarkeit verspüren können und weiterleben. Es haben sich sogar Angehörige auf unserer Instagram-Seite „gefunden“ und dann persönlich getroffen. Dass der Account auch für Zu- und Angehörige eine Plattform wird, finde ich unglaublich schön. Ich denke, es ist bei uns auf Instagram wie so oft im Internet: ein niederschwelliges Angebot, das jeder annehmen und sich dazu frei äußern kann – mit allen persönlichen Gefühlen. Man ist unter Umständen offener und freier in seinen Aussagen, weil man sich hinter seinem Profil sicher und geborgen fühlt, und durch diese Offenheit merken auch andere, dass sie mit all den Gefühlen nicht allein sind.“

Besonders viel Zuspruch erhalten im Übrigen besonders emotionale Themen, jene Posts, in denen die beiden die eigene Gefühlswelt und Begleitungen beschreiben. Auch wenn die Patient:innen und An- und Zugehörigen immer anonymisiert werden, ist die Schilderung höchstpersönlicher Themen von Begleiter:innen und Begleiteten, ein heikler Punkt.

Gab oder gibt es auch kritische Stimmen?

Sara Loy: „Bisher haben wir aus dem Hospiz- und Palliative Care Bereich keine Kritik erhalten. Eher im Gegenteil, viele sind sehr dankbar dafür.“ „Natürlich gab es die eine oder andere hinterfragende Stimme“, ergänzt Michaela Bayer, „aber das hat meist damit zu tun, dass diese Personen die Vorteile von Social Media nicht ausreichend kennengelernt haben.“

Ist Eurer Meinung nach die Hospiz- und Palliativbewegung mutig genug, um ihr Potenzial voll zu entfalten?

Sara Loy: „Sie traut sich in den letzten Jahren mehr. Vor allen die Kampagne der DGP ‚das ist palliativ´ war in Deutschland ein wichtiger Schritt. Aber ich finde, wir können uns mehr trauen. Wir dürfen mehr Aufmerksamkeit erregen. Das Thema wird jeden betreffen und jeder und jede, der oder die in dem Bereich arbeitet, weiß, wie wertvoll es ist, sich mit dem Thema regelmäßig und frühzeitig auseinanderzusetzen. Ich sehe unsere Bewegung in der Verantwortung, Denkanstöße zu geben.“ Michaela Bayer stimmt zu: „Die Gesellschaft hat aus verschiedenen Gründen Angst vor unseren Themen. Das möchten wir natürlich ändern.“

Sara Loy (30) ist gebürtige Dresdnerin, hat ihre Ausbildung zur Krankenpflegeperson 2013 in München abgeschlossen und arbeitet seit Dezember 2015 auf der Palliativstation im LMU Klinikum München. Sie ist ausgebildete Palliative-Care-Fachkraft und Onkolotsin.

Michaela Bayer (28) kommt aus Bayern, ist ebenfalls seit 2013 Pflegeperson und seit 2016 auf der Palliativstation im LMU Klinikum München. Auch sie ist Palliative-Care-Fachkraft, Onkolotsin, ausgebildete Trauerbegleiterin für Kinder, Jugendliche und Erwachsene und auch freie Trauerrednerin.

Gemeinsam betreiben sie seit 2018 den Instagram-Account elsa.palliative.care und machen mittlerweile viel Öffentlichkeitsarbeit, darunter auch 3 Dokumentationen über ihre Arbeit und einige Podcast-Folgen.

Das Interview führte Rainer Simader, Hospiz Österreich