Hospiz- und Palliativeinrichtungen in Österreich

Männer pflegen anders! Pflegen Männer anders?

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„Männer haben Muskeln
Männer sind furchtbar stark
Männer können alles
Männer kriegen ’nen Herzinfarkt
Oh, Männer sind einsame Streiter
Müssen durch jede Wand, müssen immer weiter“

(aus: Männer, von Herbert Grönemeyer)

In diesen Zeilen von Herbert Grönemeyer steckt etwas Wahrheit, viel Eingeübtes, Tradiertes und gesellschaftlich Vorausgesetztes. Aus diesen Zeilen ließe sich ableiten, dass Männer, wenn sie denn überhaupt pflegen, anders pflegen.

Aber ist das so?

Ich treffe Raphael Schönborn, Gesundheitsexperte, Geschäftsführer von PROMENZ und Gründer der Männergruppe „Mein:e Partner:in hat Demenz“ zum Gespräch über Rollenbilder und deren Einfluss auf die Pflege und Betreuung von An- und Zugehörigen.

„Männer verstehen Pflege im Gegensatz zu Frauen häufiger als Arbeit. Die Generation Männer, die jetzt um die 75 ist, wurde noch so sozialisiert, dass Erwerbsarbeit Männer- und Haus- und Sorgearbeit Frauenarbeit ist. Die Erwerbsarbeitsorientierung hilft ihnen im Pflegealltag. Sie geben der Pflegearbeit den Stellenwert, den ihre erwerbstätige Arbeit oftmals hatte.“

Das klingt, als ob „Mann“ auch leichter delegieren würde?

„Das sehe ich nicht so“ meint Raphael Schönborn: „Männer geben auf die Frage, weshalb sie ihre Frau pflegen, häufig die Liebe als Antwort. Die Übernahme von Care-Arbeit wird von ihnen – im Gegensatz zu Frauen – gesellschaftlich nicht erwartet, pflegen sie dennoch, ist zumeist die Beziehung das ausschlaggebende Motiv. Obwohl Männer selten über körpernahe Tätigkeiten sprechen, heißt das nicht, dass sie nicht selbst Hand anlegen. Auf Nachfrage berichten sie sehr wohl auch von Hilfe bei Körperpflege und Anziehen.“

Und was antworten Frauen auf die Frage nach dem warum?

„Oftmals geben Frauen an, die Pflege ihres Mannes oder der Eltern, als Selbstverständlichkeit und Verpflichtung zu sehen. Die Übernahme der Pflege wird meist nicht in Frage gestellt. Oder anders gesagt, geraten Frauen oft unhinterfragt in die Rolle der pflegenden Angehörigen und die Möglichkeit einer Alternative wird nicht oder erst spät in Erwägung gezogen.

Erst, wenn die Überforderung nicht mehr aushaltbar ist, denke ich mir und frage nach.

„Ja, aber das ist nicht frauen- oder männertypisch. Ich habe Menschen beider Geschlechter kennengelernt, die Unterstützung erst dann in Anspruch genommen haben – oder in Anspruch nehmen konnten – als sie schon massiv belastet waren“

Gut, aber gibt es denn nun, abgesehen von den Prägungen der Gesellschaft, etwas, das Männer „anders“ pflegen lässt? Und brauchen Männer in der Begleitung etwas anderes als Frauen?

„In der Begleitung und den Empfindungen von Belastung gibt es keine Unterschiede. Männer und Frauen verspüren Rat- und Hilflosigkeit, Einsamkeit aufgrund der Isolation, die die Pflege mit sich bringt, und existentielle Ängste. Aber es ist es für viele Männer nach wie vor noch nicht selbstverständlich, „den Haushalt zu schupfen“. Wenn sie dann mit der Situation konfrontiert sind, ihre Frau zu Hause zu pflegen und gleichzeitig den Haushalt und alles drum herum erledigen zu müssen, verursacht das zuerst einmal Ratlosigkeit und Stress. Sie wachsen rasch in ihre neuen Aufgaben hinein, aber sie brauchen Zeit und Unterstützung.“

Ein Teilnehmer der Gesprächsgruppe „Mein:e Partner:in hat Demenz“ erzählt:

Ich bin vor einigen Jahren in die Rolle eines Pflegenden geraten, in der ich teilweise mir völlig ungewohnte und unbekannte Aufgaben übernehmen musste. Vieles konnte ich im Laufe der Zeit erlernen, anderes wird durch Dritte erbracht. Ein wesentlicher Aspekt, den ich am Beginn vernachlässigt habe, ist meine persönliche emotionale Situation; der Umgang mit der Krankheit meiner langjährigen Partnerin und mit meinen von mir manchmal als unzulänglich empfundenen Leistungen.

In vielen Fällen konnten mir Verwandte, Freunde und der Vertrauensarzt durch positives, aufbauendes Feedback und gute Anregungen helfen, doch in letzter Konsequenz fehlt diesen Personen – mangels eigener Betroffenheit – das letzte Quäntchen der Identifikation und das Verständnis eines Involvierten. Aus diesem Grund und habe ich mich auf Hinweis einer Psychotherapeutin entschlossen, an einer Gruppe pflegender Männer teilzunehmen.  Warum eine reine Männergruppe, wo doch zwischen 75% und 80% der pflegebedürftigen Menschen meist von weiblichen Angehörigen betreut werden? Vielleicht gerade deswegen! Während Frauen meist traditionell mehr Erfahrung mit der Haushaltsführung und vielen Pflegetätigkeiten haben, sind diese Dinge für viele Männer Neuland. Es herrscht somit großer Aufholbedarf bei Themen, die für viele Frauen alltäglich sind. Des Weiteren haben Männer nach meiner Erfahrung untereinander eine andere Gesprächskultur – auch was emotionale Zustände bzw. Aussagen betrifft. Diese gemeinsame Sprache und das damit verbundene gegenseitige Verstehen sind gerade im Zusammenhang mit sehr persönlichen Emotionen sehr wichtig. Wir treffen uns also einmal im Monat, wobei jeder die Möglichkeit hat, Probleme in einer Runde Betroffener vorzutragen. Da die Gruppe professionell moderiert wird, ist sichergestellt, dass tatsächlich jeder die Chance bekommt, seine aktuellen Schwierigkeiten und Herausforderungen loszuwerden. Unter Beachtung strengster Vertraulichkeit werden sowohl emotionale als auch organisatorisch-technische Fragen diskutiert. Der Bericht über die Erlebnisse und Veränderungen des vergangenen Monats ermöglicht es mir, den anderen Teilnehmern ein Bild vom aktuellen Stand der Krankheit zu vermitteln. Allein durch das Erzählen und Teilen meiner Situation und dem daraus resultierenden Gefühl, damit nicht allein zu sein, wird vieles leichter. Natürlich gibt es auch Empfehlungen erfahrenerer Teilnehmer und beigezogener Spezialisten zu organisatorischen Themen wie Pflegepersonal, finanziellen Problemen und Lösungen, technischen Hilfsmitteln und so weiter. Einer der wichtigsten Aspekte des Gesprächskreises ist allerdings für mich, dass ich mich trotz aller widrigen Umstände, welche die Krankheit meiner Frau mit sich bringt, dank der Gruppe mit den täglichen Herausforderungen nicht allein gelassen fühle.

Nicht die Geschlechterrolle scheint in erster Linie dafür maßgeblich zu sein, wie „mann/frau“ pflegt, sondern die jeweiligen Beziehungen und die Erkenntnis, dass Pflege keine Aufgabe für Einzelkämpfer:innen ist.

„Ja“, stimmt Raphael Schönborn zu, „Letztlich ist es nicht wichtig, ob Mann oder Frau pflegt. Die individuelle Begleitung, die Begegnung mit anderen Menschen, denen es ähnlich geht, und ein nährender, vertrauensvoller Austausch ist letztendlich für Männer und Frauen die wichtigste Unterstützung. Für die Geschlechtergerechtigkeit sollten aber viel mehr Männer Pflegeverantwortung übernehmen.“

Quellen und Links
Schönborn, R. 2022: Die Perspektive der Angehörigen –  Männergruppe meine Frau hat Demenz. Weißbuch Alzheimer, S. 48f. https://www.biogen.at/content/dam/corporate/de_AT/pdfs/alzheimers/whitebook-alzheimer.pdf. Abruf 12.04.2023
Schönborn, R. 2017 http://pflege-professionell.at/wenn-maenner-ihre-partnerinnen-pflegen, Abruf 06.04.2023
Schönborn, R. 2013 Man(n) Pflegt! Gesprächswerkstatt für Männer, die ihre von Demenz betroffene Partnerin betreuen und pflegen
Herbert Groenemeyer
Songtext „Männer“ © Groenland Musikverlag, Emi Kick Musikverlag Gmbh & Co Kg
Bild: pexels