Hospiz- und Palliativeinrichtungen in Österreich

Ins Zimmer für Männer oder Frauen?

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Transgeschlechtlichkeit*), Alter(n) und Lebensende.

Der Titel dieses Beitrags spiegelt reale Erlebnisse von trans Personen wider, auch die von Max Appenroth. Gleichzeitig zeigen sie die Verunsicherung im Umgang mit Menschen, die sich entweder nicht mit ihrem Geburtsgeschlecht oder gar gänzlich außerhalb der Normen von weiblich oder männlich identifizieren.

Hospiz und Palliative Care macht es sich zur Aufgabe, individuellen Bedürfnissen von Menschen gerecht zu werden. Dennoch versuchen Medizin und auch die Psychologie zu vereindeutigen, wenn es um die geschlechtliche Identität geht, und sich auf ein ‚übliches‘ Geschlecht festzulegen. Max Appenroth promoviert am Institut für Public Health an der Charité Universitätsmedizin Berlin und forscht seit vielen Jahren zum Thema Transgeschlechtlichkeit. Auch (inter)national setzt sich Max für die Rechte von trans Menschen ein.

Rainer Simader (Dachverband Hospiz Österreich) bat Max Appenroth zum Gespräch über Gesundheit, Krankheit, Alter(n) und Sterben von trans Menschen.

*) Zwar ist Transsexualität der bekanntere Begriff, wird aber aus der trans Community heraus häufig kritisiert. Er ist per se nicht falsch, allerdings wurde dieser Begriff in den 50er Jahren geprägt, um zwischen den ‚Kranken‘ – den trans Menschen – und den ‚gesunden‘ – den Cis Menschen zu unterscheiden. Er hat dadurch eine pathologisierende Wirkung. Zudem hat „Trans-Sein“ primär nichts mit Sexualität zu tun und engt das Thema ein. Aus diesem Grund wird der Begriff Transgeschlechtlichkeit allgemein und auch in diesem Beitrag verwendet. Unter cis-geschlechtlich versteht man, wenn sich ein Mensch mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifiziert.

Was versteht man unter Transgeschlechtlichkeit und was verstehen viele Menschen falsch? 

Unter Transgeschlechtlichkeit versteht man, wenn Menschen sich nicht mit dem Geburtsgeschlecht identifizieren und ihr Geschlecht im Laufe des Lebens – in verschiedenen Arten und Weisen – anpassen. Immer wieder werden falsche Annahmen getroffen, was sich auch in der Sprache zeigt: „sie seien im falschen Körper geboren“ oder „es ginge um die Sexualität an sich“. Nach wie vor wird Transgeschlechtlichkeit pathologisiert. Dabei gibt es sehr viele individuelle Formen des geschlechtlichen Empfindens. Diese Normierungsversuche führen zum Teil zu vielen Problemen und gesellschaftliche Hürden, auf die trans Personen treffen.

Von wie vielen trans Menschen sprechen wir hier?

Sehr niedrige Schätzungen gehen von 0,6 bis 2,1% der Bevölkerung aus. Die tatsächliche Zahl dürfte aber deutlich höher sein, da Menschen ihre Transgeschlechtlichkeit oft nur in bestimmten (und vor allem sicheren) Kontexten leben, wie z.B. im privaten Umfeld. Nicht selten verheimlichen trans Personen ihr Leben lang ihre Identität. Es gibt durchaus die Möglichkeit, dass sich z.B. trans Menschen erst am Sterbebett zum ersten Mal überhaupt den Pflegenden anvertrauen und sich outen.

Sie haben von vielen Problemen gesprochen. Welche sind das und welche Auswirkungen haben diese in Bezug auf das Gesundheitswesen?

Die auf zwei Geschlechter normierende Medizin führt bei trans Menschen zu einem doppelten und permanenten Krankheitserleben in der Gesundheitsversorgung: Einerseits kommt man mit einer ganz allgemeinen Krankheit zu Expert*innen und dort erleben trans Personen oft, dass auch ihr Körper per se pathologisiert wird. Trans Menschen, das ist auch in großen Studien gezeigt worden, erleben im Gesundheitswesen regelmäßig Diskriminierung. Dazu gehören zum Beispiel mit falschem Namen oder falschem Pronomen angesprochen zu werden. Auch erleben trans Menschen regelmäßig grenzüberschreitende Fragen und nicht angebrachte Neugier auf Seiten von medizinischem Personal. Auch das oftmals fehlende medizinische Fachwissen zu Transition und hormoneller Behandlung, sowie anderen transitionsbedingten Maßnahmen ist eine Art der Diskriminierung und führt zu Ungleichbehandlung im Gesundheitswesen.

Trans Menschen kommen oft schon mit einem „Schutzschild“ in Gesundheitseinrichtungen, da viele bereits davon ausgehen entweder diskriminiert oder fehlbehandelt zu werden. Im schlechtesten Fall kommt beides zusammen. Die Angst falsch behandelt oder diskriminiert zu werden, führt häufig dazu, dass trans Personen keine Hilfe in Anspruch zu nehmen, auch wenn diese eigentlich nötig und möglich ist.

Altern und sterben trans Personen anders? 

Ja, das tun sie. Auch wenn die Studienlage dazu eher dürftig ist, so zeigen Daten, dass die negativen Erfahrungen von trans Personen und die vorher angesprochene Vermeidung des Gesundheitswesens Folgen haben. Durch Sorge vor Diskriminierung und Fehlbehandlungen werden sowohl Vorsorgeuntersuchungen seltener und medizinische Hilfe oftmals (zu) spät in Anspruch genommen. Es kann angenommen werden, dass sich dies mitunter auch negativ auf die Lebenserwartung bei trans Personen auswirken kann. Zum anderen – und das ist eine erschreckende Zahl – hat die bislang größte Studie unter trans Personen (n=27.715) gezeigt, dass 40% der Teilnehmenden bereits einen Suizidversuch hinter sich haben. Neben dem Thema Suizid werden trans Personen im Vergleich zu cis Personen deutlich häufiger Opfer von Gewaltverbrechen.

Generell sehen wir bei trans Personen eine deutlich erhöhte Zahl an chronifizierten Erkrankungen und Behinderungen, die sich entsprechend eben im Alter auch deutlicher zeigen. Weiters ist eine, im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung, frühere Erwerbsunfähigkeit gegeben. Auch psychische Erkrankungen, wie Depression und Angststörungen, treten weitaus häufiger auf. Neben den medizinischen Herausforderungen im Alter und am Lebensende spielen auch die Einsamkeit und Isolation gegen Ende des Lebens eine zentrale Rolle. Viele trans Menschen haben keinen Kontakt zu ihrer Herkunftsfamilie und Studien zeigten auch jetzt besonders in Zeiten von Covid-19, dass trans Personen sich häufiger einsam fühlen.

Die Begleitung von trans Menschen gehört für viele Profis und Ehrenamtliche nicht zum Alltag. Auch Studien zeigen, dass Menschen Unsicherheiten im Kontakt mit trans Personen haben.  Haben Sie Empfehlungen, wie diesen Unsicherheiten begegnet werden kann?

So einfach das klingt: es geht um wahre Akzeptanz. Das Gegenüber als „ganz normalen Menschen“ zu akzeptieren, ohne die Person zu bewerten, zu pathologisieren oder mit übermäßiger Neugier und Exotisierung zu betrachten, ist das Wichtigste. Wenn Sie Unsicherheiten haben, so ist das konkrete Ansprechen wohl das Beste. Ein „das ist ganz neu für mich, und ich möchte, dass es Ihnen bei uns gut geht. Bitte sagen Sie uns, was Ihnen wichtig ist, was Sie brauchen und worauf wir achten müssen“ ist eine sehr zugewandte und positive Herangehensweise, die man nicht nur bei trans Personen an den Tag legen sollte.

Zudem empfehle ich dringend Fortbildungen zu diesem Thema für Mitglieder des Gesundheitswesens. Für eine fachgerechte Begleitung braucht es Wissen um Transition und die damit einhergehenden körperlichen Veränderungen und notwendigen Medikamente. Eine Reflexion der Lebensweltrealitäten von trans Menschen und ein Verständnis dessen, trägt zu einem positiven und wertschätzenden Pflegeumfeld bei.

Haben Sie Empfehlungen, wie sich Organisationen für Trans Menschen öffnen können?

Wie eben gesagt: gutes Wissen und Fachkompetenz ist der Beginn. Wenn diese vorhanden sind, dann benennen Sie diese Zielgruppe ganz spezifisch auch auf Ihrer Homepage, in Ihren Broschüren und arbeiten Sie mit lokalen oder überregionalen Interessensgruppen, wie zum Beispiel http://transgender-team.at, https://www.transx.at/Pub/TransLinks.php oder http://www.hosi.or.at/die-hosi/gemeinschaften/. Ich kann Ihnen versichern, dass trans Menschen händeringend nach entsprechenden Angeboten suchen. Und sie werden diese auch aufsuchen, wenn sie wissen, dass es dort entsprechendes Fachwissen gibt. In Deutschland gibt es übrigens das Gütesiegel „Lebensort Vielfalt“ für Pflegeeinrichtungen und ambulante Dienste, die sich speziell zu den Bedarfen von lesbischen, schwulen, bisexuellen und eben auch trans Menschen weiterbilden und zertifizieren lassen wollen.

Und in welches Zimmer sollen nun trans Menschen kommen?

Das ist eigentlich ganz einfach: In das Zimmer, in welches sich die Person zugehörig fühlt.

Ich danke Ihnen herzlich für dieses Gespräch.


Max Appenroth, geboren 1986, ist ein trans Aktivist und Diversity Consultant aus Berlin. Max berät und unterstützt Organisationen und Einrichtungen rund um die Fragen zu geschlechtlicher und sexueller Vielfalt. Zu diesen Themen bietet Max durch Workshops und Vorträge die Möglichkeit sich interaktiv fortzubilden – auch online.

2019 veröffentlichte Max im transcript Verlag das Buch Trans & Care. Trans Personen zwischen Selbstsorge, Fürsorge und Versorgung.

Nähere Informationen unter www.max-appenroth.com

Foto: Copyright Mad Fox Production