Hospiz- und Palliativeinrichtungen in Österreich

In Memoriam Sascha: Queere Trauer – gleich und doch anders

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Rainer Simader im Gespräch mit Johannes L.

Es war kurz nach Silvester 2024. Johannes hatte eben schmerzhaft erfahren, dass die Hoffnung tatsächlich ganz am Schluss stirbt. Sein Ehemann Sascha war im Krankenhaus an einer Tumorerkrankung gestorben. Festgestellt worden war die Erkrankung im Laufe ihrer Hochzeitsvorbereitungen im Sommer 2022.

Als ich Johannes treffe, ist einer der ersten Sätze, die er zu mir sagt: „Ich dachte nie, dass ich mit 33 Jahren Witwer sein werde.“ und rasch bin ich sehr berührt von dieser unglaublich spürbaren Liebesgeschichte. Die existenziellen Erfahrungen bis zu Saschas Tod, die geprägt waren von der Gleichzeitigkeit von Hoffnung und Leben wollen und dem Vorbereiten auf das, was sie vermeiden wollten, sprudeln nur so aus ihm heraus.

In unserem Gespräch geht es darum, wie sie als homosexuelles Paar das Eingebundensein in die üblicherweise heteronormative Hilfslandschaft erlebt haben, bzw. wie Johannes dies nun als schwuler Witwer erlebt.

Johannes, wie habt Ihr euch als schwules Paar in der Zeit im Krankenhaus verstanden gefühlt?

„Meist sehr gut. Im Vordergrund stand natürlich die gute Behandlung und wir hatten das Gefühl, dass alle, die Sascha betreuten, bestmöglich versucht haben, ihm zu helfen. Sie waren auch sehr ehrlich und ich habe gewusst, dass er sterben wird. Als es dann so weit war, in den letzten Tagen, konnte ich auch über Nacht im Zimmer bleiben. Leider ist Sascha, kurz bevor er auf die Palliativstation gekommen ist, gestorben. Die Pflegeperson hat mir dann aber gesagt, dass ich eine gute palliative Begleitung gemacht habe.“

Du hast gesagt, meist sehr gut. Was meinst Du damit?

„Ich erinnere mich, dass ich mich immer wieder erklären und outen musste, dass ich der Ehemann bin, weil ich mitunter ignoriert oder übersehen wurde. Meist war das kein allzu großes Thema. Oft hat mich eine sehr liebe Freundin ins Krankenhaus begleitet und regelmäßig wurde ganz automatisch angenommen, dass sie die Frau meines Mannes war, und so erwarteten die Ärzte und Ärztinnen, dass sie eine Antwort geben würde. Aber die Grenze zwischen – jemand weiß es einfach nicht und fragt nach – und einer Bewertung, die ich dann fühle, ist oft schmal. Einmal, als ich mich wieder outen musste, war die Reaktion einer Pflegeperson: ‚Ach, soooooooo.‘ – und da spürte ich tatsächlich, dass diese Person gar nicht im Umgang mit einem schwulen Paar geschult, es nicht gewohnt oder es ihr vielleicht unangenehm war, – das kann ich nicht beurteilen. Aber so was kann man nie und schon gar nicht in einer so schwierigen Zeit brauchen. Im Lauf eines Lebens als homosexueller Mann lernt man Blicke spüren.“

Du hast mir erzählt, dass Du Dir rasch nach dem Tod von Sascha Hilfe gesucht hast. Wo und bei wem hast Du Dir die Hilfe gesucht?

„Ich habe bei einem Psychotherapeuten begonnen und der hat mir eine Trauergruppe empfohlen. Dort sind alle sehr nett und bemüht … aber ich muss gestehen, dass ich mich nicht immer verstanden fühle, manchmal auch unwohl. Es ist diese Mischung aus entgegengebrachter Neugier, nicht zum Thema Trauer, sondern weil ich anders bin, nicht der Norm entspreche. Mein Gefühl, dass es einfach wenig Wissen über prägende Momente eines schwulen Lebens gibt, die mich jetzt stark in meiner Trauer beschäftigen, bis hin zu der sprachlichen Unterscheidung, dass zum Beispiel in Gesprächen mit Witwen immer nach deren Männern gefragt wird und bei mir nach meinem Partner. Und nicht zuletzt gibt es da immer jemanden, der oder dem man anmerkt, dass eine queere Identität nicht in die eigene Weltanschauung passt… Ich habe auch das Gefühl, dass ich als schwuler Mann manchmal ganz besonders mit Samthandschuhen angefasst werde, weil es bei anderen Unsicherheiten gibt. Ich will aber nicht anders angefasst werden – und ich will mich auch nicht ständig erklären müssen. Das ist wie ein immer wiederkehrendes Outing. Und Outing hat nur bedingt etwas Befreiendes.“

 Bist Du der einzige homosexuelle Witwer in der Gruppe?

„Ja. – Ich bin dann auch noch zu einer anderen Gruppe gegangen, dem Young Widowers Dinner Club, und auch dort war ich bei dem Treffen der einzige schwule Mann. Das ist natürlich keine Überraschung. Das ist auch bei anderen Gruppen, in denen es nicht um Trauer geht, so. Immerhin gibt es mehr heterosexuelle Menschen als queere Menschen. Und dennoch hat es manchmal meine Einsamkeit verstärkt.“

Heißt das, dass es eine Art doppelte Einsamkeit gibt? Die Einsamkeit nach dem Verlust an sich und dann die Einsamkeit aufgrund Deiner sexuellen Identität? Hat das auch damit zu tun, wie Du vorhin meintest, dass es einige prägende Momente im Leben von homosexuellen Menschen gibt? Welche sind das?

„Das stimmt schon. Das Gefühl, dann doch nicht ganz dazuzugehören, hinterlässt schon Spuren. Aber ich möchte nochmal sagen: Die meisten Menschen dort sind sehr nett und auch bemüht. Es hat also auch viel mit mir und meiner Identität zu tun. Und es ist vielleicht auch normal, dass eine heterosexuelle Person nicht unbedingt wissen kann, wie sich ein homosexuelles Leben und so eine Lebensgeschichte anfühlt. Im Leben von schwulen Männern geht es oft darum, sich zu verstecken, immer wieder zu spüren, ob es okay ist, gerade so zu sein, wie man ist. Viele homosexuelle Menschen verlieren liebe Menschen im Laufe ihres Lebens, wenn sie sich outen – oder zumindest verändert sich die Beziehung. Obwohl ich ein großer Freund von Inklusion bin, wünsche ich mir manchmal, dass es eine schwule Trauergruppe gibt oder eine für homosexuelle Menschen.“

Was wäre für Dich dann anders?

„Vielleicht wäre dann diese zweite Einsamkeit weniger. Ich müsste mich nicht erklären und könnte mir sicher sein, dass ich nicht wegen meiner sexuellen Orientierung bewertet werde. Und die Menschen dort würden einfach wissen, verstehen und fühlen, wie es ist, so zu sein. Ich habe aber kein solches Angebot gefunden. Was ich auch noch ergänzen möchte, ist, dass ich schon gehört habe, dass es viele queere Personen gibt, die ebenfalls ihre:n Partner:in verloren haben. Aber zumindest in der schwulen Szene, so wie ich sie kenne, geht es selten um diese Themen. Da geht’s viel um Party und das Leben. Also aus dieser Ecke hab‘ ich keine Angebote für Trauernde gefunden.“

Für viele Personen ist die queere Community eine zweite oder neue Heimat geworden. Hättest Du Dir gewünscht, dort auch solche Angebote zur Trauer oder zum Lebensende zu erhalten?

„Ja, dort habe ich zu suchen begonnen – eben, weil ich mich dort verstanden fühle. Vielleicht wäre es ein wichtiger Ansatz, genau dort, wo queere Menschen sind, auch für solche Angebote Werbung zu machen. Generell habe ich das Gefühl, dass es für mich schwieriger war, entsprechende Angebote zu finden, als für andere trauernde Menschen, die ich kennengelernt habe. Vielleicht kann ich in Zukunft da ja mal unterstützend sein.“

Lieber Johannes, ich danke Dir sehr, dass Du Deine so liebevolle wie traurige Geschichte mit mir und unseren Leser:innen geteilt hast. Ich wünsche Dir alles Gute – und danke, dass Du so wertvolle Impulse für eine bessere Erreichbarkeit der queeren Personen setzt.

Das Gespräch führte Rainer Simader, Leiter des Bildungswesens bei HOSPIZ ÖSTERREICH.