Hospiz- und Palliativeinrichtungen in Österreich

Freiwilliges Engagement in einer sich verändernden Welt

veröffentlicht am

2022 engagierten sich 3,7 Millionen Menschen in Österreich entweder formell (in eine Organisation eingebettet) oder informell (Nachbarschaftshilfe,…) ehrenamtlich. Von diesen 3,7 Millionen Menschen engagierten sich 3.455 Menschen ehrenamtlich im Hospiz und Palliativbereich.

Der „3. Bericht zum freiwilligen Engagement in Österreich“ beschreibt bereits 2019, dass sich das Feld der freiwillig/ehrenamtlich Engagierten sowohl demografisch, als inhaltlich verändert.  Freiwilliges Engagement liegt mittlerweile nicht mehr zu einem Großteil bei Personen der Altersgruppe 55+, sondern stellt sich diverser und bunter dar. Der Anspruch an die Organisationen, die Rahmenbedingungen der Tätigkeiten, die Forderung nach Aus-, Fort- und Weiterbildungen werden von den freiwillig engagierten Personen mit großer Selbstverständlichkeit geäußert und eingefordert. Freiwillige Tätigkeit und Ehrenamt befinden sich im Wandel – welche Auswirkungen hat dies auf die Organisationen?

Ich treffe Martin Oberbauer, Leiter des Freiwilligenmanagements beim Wiener Hilfswerk, sowie Obmann des Netzwerks Freiwilligenkoordination, und Sabine Safer, Koordinatorin des Hospizteams der Ehrenamtlichen der CS Caritas Socialis zum Gespräch.

Im dritten Freiwilligenbericht schreiben Eva More-Hollerweger und Flavia-Elvira Bogorin „Gesellschaftlicher Wandel hat sich kaum je so schnell vollzogen wie in den letzten Jahrzehnten. Globalisierung, technischer Fortschritt, soziale Medien und wachsende Mobilität haben nachhaltige Auswirkungen auf unsere Lebensweise.“ Welche Veränderungen nehmt ihr wahr?

Martin Oberbauer
Ich erlebe, dass das lebensphasenabhängige Ehrenamt stark im Kommen ist. Wobei ich diesen Trend in der gesamten Gesellschaft wahrnehme. Alles, was ich tue, muss zu meinem derzeitigen Lebensabschnitt oder Lebenskonzept passen. Der Lebensabschnittspartner, der Lebensabschnittsjob – entsprechend auch das Lebensabschnittsehrenamt. Das unterliegt keiner Wertung, ist aber ein Trend, den ich wahrnehme. Absolut positiv daran ist, dass jetzt nach der Pandemie insgesamt mehr Menschen wieder Interesse am Ehrenamt haben. Das war bei der letzten Freiwilligenmesse in Wien deutlich erkennbar.

Sabine Safer
Ich erlebe den Trend des lebensphasenabhängigen Ehrenamts genauso. Etliche unserer ehrenamtlich Engagierten stehen mitten im Berufsleben, sind voll berufstätig und möchten sich trotzdem ehrenamtlich engagieren. Das hat zur Folge, dass zum Beispiel die Abendzeiten auf der Palliativstation, zwischen 17 Uhr bis 20 Uhr, gut besetzt werden können. Jene Dienste, die untertags benötigt werden, sind schon schwerer zu besetzen oder am Wochenende. Da verändert sich gerade sehr viel – waren es früher oft Menschen, die kurz vor oder nach der Pensionierung ehrenamtlich tätig wurden ist das Feld nun deutlich bunter.

Was bedeutet das für die Organisationen, die Freiwillige suchen?

Martin Oberbauer
Organisationen müssen sich öffnen und anpassen. Es ist nicht mehr so, dass sich die Organisationen die Freiwilligen aussuchen – es verhält sich oft umgekehrt. Die Vorstellungen und Anforderungen der Menschen, die sich freiwillig engagieren möchten, werden oftmals recht klar formuliert und die Einsatzfelder sollten dann auch dazu passen.

Welche Chancen seht ihr in diesen Veränderungen?

Martin Oberbauer
Eine Chance für Organisationen ist es, die Ehrenamtlichen als eine flexibel nutzbare Ressource zu sehen. Den „klassischen Ehrenamtlichen“ gibt es nicht mehr so häufig. Die Individualität jedes einzelnen steht stärker im Vordergrund, ebenso die Erwartungen an die Organisationen. Dieser Umstand kann Organisationen zum Lernen und Entwickeln animieren.

Sabine Safer
Ich sehe die unterschiedlichen Lebensphasen, in denen die ehrenamtlichen Kolleg:innen jeweils gerade sind, als Chance, aber auch als Herausforderung. Chance, weil wir eine bunte Mischung an ehrenamtlichen Kolleg:innen als Ressource für eine ebenso bunte Mischung an Bewohner:innen, Gästen, Klient:innen und Patient:innen zur Verfügung stellen können. Herausfordernd ist es für mich als Koordinatorin immer wieder, da jüngere ehrenamtlich engagierte Kolleg:innen viele Umbrüche des Lebens, ob zum Beispiel Jobwechsel, Pflegebedürftigkeit der Eltern, Pensionierung erst erleben und sich dadurch ihre jeweilige Welt oft stark verändert. Das bringt häufig auch eine Veränderung im Engagement mit sich – manchmal eine Anpassung der Tätigkeiten, eine Pause, manchmal muss das ehrenamtliche Engagement aber auch auf unbestimmte Zeit pausiert werden. Das fordert mich als Koordinatorin auf andere Weise, als das noch vor einigen Jahren der Fall war.

Braucht die Koordination von Ehrenamtlichen demnach führungsstarke Personen?

Martin Oberbauer
Unbedingt! Die Koordinator:innen haben es schließlich mit Menschen zu tun, die freiwillig – also ohne die Bindung durch einen Dienstvertrag – engagiert in der Organisation wirken wollen und sollen. Die Koordinator:innen haben keine Positionsmacht, die durch ein Dienstverhältnis oder eine Hierarchie legitimiert wird. Kreativität, Flexibilität, Führungs-Knowhow und Erfahrung in der Begleitung unterschiedlicher Menschen sind meiner Ansicht nach wichtige Eigenschaften, um Ehrenamtliche koordinieren und leiten zu können. Beim Abschlussmodul des letzten Ausbildungslehrgangs „Freiwilligenkoordination“ haben wir deswegen dem Thema Führung einen ganzen Tag gewidmet. Wir müssen die Koordinator:innen auf ihre Rolle gut vorbereiten, damit sie dann ihre Aufgaben und die damit verbundenen Anforderungen gut meistern können. Das sind dann in der Koordination und Führung der Teams die Unterschiede, die den Unterschied machen.

Sabine Safer
Der Faktor Zeit ist mir wichtig noch zu ergänzen. Um ein Team gut koordinieren zu können, brauchen die Koordinator:innen Zeit. Zeit zu Begleiten, Zeit zuzuhören, Zeit zu reflektieren, Zeit, um die Ehrenamtlichen gut einzuführen. Zeit ist, neben Fortbildungen, Supervisionen, Ehrenamtstreffen und ähnlichem, das Einzige, was wir den Ehrenamtlichen zurückgeben können und müssen. Ein Dank gebührt den Ehrenamtlichen, die uns und den Menschen, die wir begleiten & betreuen ihre Zeit schenken – DANKE!

Das Gespräch führte Marianne Buchegger

 

Quellen:
https://www.freiwilligenweb.at/wp-content/uploads/2020/06/Frewilligenbericht-2019.pdf
https://www.statistik.at/statistiken/bevoelkerung-und-soziales/weitere-sozialstatistiken/freiwilligentaetigkeit
https://www.hospiz.at/wordpress/wp-content/uploads/2023/07/Datenbericht_DVHospizOesterreich_2021_v1_WEB.pdf
Bildquelle: pexels