Hospiz- und Palliativeinrichtungen in Österreich

Diätologie und Palliative Care – wie passt das zusammen?

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Herr F. hat eine Demenz im fortgeschrittenen Stadium. Er hat eigentlich immer gerne gegessen, aber im letzten halben Jahr hat er fast zehn Kilogramm verloren. Das hat zur Folge, dass er recht unsicher auf den Beinen ist und in den letzten Wochen bereits mehrmals gestürzt ist. Seine Gattin ist deshalb sehr verunsichert und traut sich nicht mehr, ihn zum Einkaufen mitzunehmen. Sie hat aber auch Angst, ihn längere Zeit alleine zuhause zu lassen. Außerdem hat Herr F. an einigen Stellen kleine Hautdefekte entwickelt, die nicht recht verheilen wollen. Im Gespräch stellt sich heraus, dass Frau F. seit einigen Monaten ihre Einkaufs- und Kochgewohnheiten stark verändert hat. Ihr wurde von einer Bekannten empfohlen, kaum oder gar keine Fleisch- und Milchprodukte mehr zu verwenden, da diese sich angeblich ungünstig auf den Verlauf der Demenzerkrankung auswirken sollen. Viele Dinge, die Herr F. immer gerne gegessen hat, stehen nun nicht mehr am Speisezettel, wie das tägliche Butterbrot in der Früh, Lieblingsspeisen wie Fleischlaibchen, die Rahmsuppe nach dem Rezept seiner oberösterreichischen Mutter oder das Grießkoch am Abend, das vor allem in den letzten Jahren bei beiden zur Gewohnheit wurde. Einige Gerichte isst er weiterhin mit Appetit, andere aber, wie die mit viel Liebe von seiner Frau zubereiteten neuen Rezepte wie Dinkellaibchen oder Hirseauflauf mit Gemüse, lässt er fast unberührt stehen. Auch das Frühstücksbrot ohne die gewohnte Butter, stattdessen bestrichen mit Kokosöl, wird meist nur wortlos beiseitegeschoben.

In der diätologischen Beratung konnten nach einer ausführlichen Anamnese die Bedürfnisse von Herrn und Frau F. abgeholt werden. Es gelang, die Befürchtungen von Frau F. in Bezug auf tierische Lebensmittel weitgehend auszuräumen und sie war bereit, einige der früher gewohnten Speisen wieder zuzubereiten. Es war ihr jedoch ein Anliegen, den Fleischkonsum weiterhin eher gering zu halten und so wurde gemeinsam eine Liste von Rezepten erarbeitet, die zwar kein oder wenig Fleisch beinhalten, aber trotzdem den früheren Gewohnheiten des Ehepaares F. entsprechen und die erforderlichen Kalorien und vor allem Eiweiß liefern, um den Gewichtsverlust von Herrn F. zu stoppen.

„Ich bin erleichtert. Ich habe geglaubt, dass mein Mann krank geworden ist, weil wir uns jahrelang falsch ernährt haben und jetzt wollte ich alles wieder gut machen oder zumindest dafür sorgen, dass es nicht mehr schlimmer wird. Man hört ja rundherum so viel und weiß dann gar nicht mehr, was eigentlich das Richtige ist.“

In diesem Beispiel wird aufgezeigt, wie gut gemeinte, aber falsche Ernährungsratschläge nach hinten losgehen können. Nicht nur, dass es eine deutliche Beeinträchtigung der Lebensqualität darstellt, auf gewohnte und geliebte Speisen zu verzichten, hat Herr F. in kurzer Zeit nicht nur an Gewicht, sondern vor allem an Muskelmasse verloren. Die daraus resultierende Mangelernährung führt nicht nur zu Sturzneigung, gestörter Wundheilung Infektanfälligkeit u.v.m. Auch die Teilhabe beider Ehepartner am alltäglichen Leben wird dadurch negativ beeinflusst, dass sich Frau F. kaum traut, mit oder ohne Begleitung ihres Gatten das Haus zu verlassen. Außerdem fühlt sie sich sehr dadurch belastet, dass sie durch die aufwendige Ernährungsumstellung – denn auch Frau F. musste sich in ihren Gewohnheiten sehr umstellen – versucht, ihrem Gatten etwas Gutes zu tun, aber immer wieder sieht, wie ihre Bemühungen zurückgewiesen werden. Dadurch kam es in den letzten Wochen auch immer wieder zu Streit zwischen dem Ehepaar.

Entgegen mancher Befürchtungen geht es bei einer diätologischen Beratung nicht darum, in erster Linie Einschränkungen und Vorschriften zu machen, sondern wir Diätolog*innen verstehen unsere Aufgabe als Unterstützung und Hilfe für Menschen mit besonderen Ernährungsbedürfnissen. Gerade in der Frühphase einer lebensbegrenzenden Erkrankung kann durch rechtzeitiges Erkennen und Behandlung einer Mangelernährung z.B. die Mobilität und damit auch die Selbständigkeit im Alltag erhalten werden, in einer späteren Phase geht es möglicherweise mehr um Appetitlosigkeit, Übelkeit oder Schluckprobleme. Durch eine ausführliche Anamnese kann herausgefunden werden, was der- bzw. diejenige gerade braucht, welche Vorlieben er oder sie hat und welche Möglichkeiten es gibt, den täglichen Speiseplan entsprechend anzupassen. Die Ziele werden dabei immer gemeinsam mit dem/der Betroffenen definiert.

Diätolog*innen haben nicht nur ernährungsmedizinische, sondern durch die praxisbezogene Ausbildung auch gute Lebensmittel- und Kochkenntnisse und können so ihre Empfehlungen für die Klient*innen in konkrete Mahlzeiten umsetzen und damit buchstäblich auf den Teller bringen.

Diätolog*innen sind aber auch Ansprechpartner*innen für An- und Zugehörige.

Wenn nahe Angehörige schwer erkranken, haben wir das Bedürfnis, ihnen etwas Gutes zu tun. Das äußert sich oft darin, dass wir sie mit ihren Lieblingsspeisen, besonderen Leckereien, speziellen vermeintlich gesunden oder nahrhaften Lebensmitteln versorgen möchten. Daher fällt es besonders schwer zu akzeptieren, wenn der geliebte Mensch nicht essen möchte oder nicht essen kann. Auf der einen Seite fühlt es sich wie eine Zurückweisung unserer Fürsorge an, auf der anderen Seite macht uns das Nicht-essen Angst, denn Essen ist emotional eng mit Leben verbunden. Am Ende des Tages ist es auch die Aufgabe der Diätolog*innen, gemeinsam mit dem interprofessionellen Team den Angehörigen zu vermitteln, wann bestimmte Maßnahmen nicht mehr unterstützend, sondern belastend sind und daher in den Hintergrund rücken sollten.

Zum Schluss noch ein paar Überlegungen: Wussten Sie, dass die Bezeichnung „Diät“ aus dem griechischen („díaita“) kommt und eigentlich „Lebensführung“ oder „Lebensweise“ heißt? Und, dass im Englischen im Gegensatz zum Deutschen „diet“ die übliche Ernährungsgewohnheit eines Menschen meint, ohne gesundheits- oder krankheitsbedingte Hintergründe? In der deutschen Umgangssprache hingegen ist mit „Diät“ meist eine kurz- oder auch längerfristige Einschränkung in der Lebensmittelauswahl gemeint, vor allem aus gesundheitlichen, aber auch weltanschaulichen oder gesellschaftlichen Gründen, z.B. um einem bestimmten Schönheitsideal zu entsprechen, und ist oft mit Verzicht und verminderter Lebensqualität verbunden. In der Palliative Care verschieben sich jedoch die Therapieziele in allen Bereichen von der Prävention hin zur Erhaltung und Verbesserung der Lebensqualität.

Susanne Domkar, Diaetologin in der Fachstelle Qualität und Innovation, Bereich Caritas Pflege der Caritas der Erzdiözese Wien. Zum Bereich Pflege zählen die Pflegewohnhäuser, die Pflege zuhause, die mobilen Hospiz- und Palliativteams und das Tageshospiz, die Angehörigenberatung und der Bereich Rundum zuhause betreut.

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