Hospiz- und Palliativeinrichtungen in Österreich

Der eigene Körper als Ressource in der Arbeit mit schwerkranken Menschen

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Viele Menschen, die in den sogenannten „helfenden Berufen“ arbeiten, werden bestätigen, wie schön und sinnvoll ihre Tätigkeit sein kann. Das Leiden von Menschen zu lindern und zu versuchen, einen fürsorgenden Rahmen zu geben und Gutes tun.

Und doch sind die Helfenden aufgrund ihrer Arbeit und ihres Einsatzes oftmals stark belastet. Sie geben, obwohl sie selbst eigentlich leer sind.

Kommen wir zurück zum Bild der Schale. Ich möchte Sie zu einer kleinen Übung einladen, um jetzt den Blick für eine Weile auf sich selbst zu richten. So wie Sie sitzen, machen Sie es sich bequem. Schalten Sie alles aus, was Sie ablenkt. Spüren Sie beide Füße am Boden und das Becken auf der Unterlage. Beobachten Sie einen Moment, wie der Atem vor sich geht und was Sie sonst in Ihrem Körper wahrnehmen – ohne es zu bewerten. Können Sie ein Bild entstehen lassen von Ihrer persönlichen „Schale“? Wie würde sie aussehen? Wie voll ist sie derzeit? Sie brauchen diese Frage nicht verbal zu beantworten. Vielleicht entsteht eher ein Gespür dafür, dem Sie nachgehen können. Geben Sie sich eine Weile Zeit dafür. Vielleicht mögen Sie auch ein paar Mal etwas tiefer atmen oder die Augen schließen, um diese inneren Bilder besser zu sehen. Öffnen Sie die Augen nach ein paar Minuten wieder.

Hinter der Selbstfürsorge steht wohl die grundlegende Frage: Was füllt meine Schale?

Wie wichtig ist es, den Blick auch auf meine eigenen Bedürfnisse zu richten: Was brauche ich? Was tut mir gut? Wann wird es zu viel? Vielleicht ist es gar nicht einfach, diese Perspektive einzunehmen.

Der eigene Körper ist der Ort, wo Selbstfürsorge beginnen kann. Hier schlummern viele Ressourcen, mit denen wir zunächst im konkreten Spüren in Kontakt kommen können. Die Körperwahrnehmung ist gleichsam der Anfang des Anfangs: erkunden dessen, „was da ist“ – in Ruhe und in Bewegung. Später kann der Kontakt zu sich selbst in Form der geteilten Aufmerksamkeit auch in Beziehung, in der Arbeit mit Menschen, immer wieder gepflegt werden. Die Wege dies zu erlernen sind vielfältig und allgemein zugänglich, zum Beispiel in fernöstlichen Bewegungskonzepten oder anderen Ansätzen, die bewusst die Körperwahrnehmung ansprechen.

Aus dem Kontakt zu sich selbst kommt stimmige Aktion. Wenn ich etwa Unruhe, Angst, Anspannung, Stress, Überforderung oder Ähnliches spüre, während ich die Augen schließe und innehalte, so kann daraus eine Kraft entstehen, dem Bedürfnis, das dahintersteckt, nachzugehen. Das kann zum Beispiel ein Bedürfnis nach Ruhe, Entspannung, Besinnung und Rückzug sein. Wo finde ich dies? Im Gewohnten oder im Neuen? Beim sinnlichen Genießen oder in der kräftigen Aktion? Bei einem Spaziergang im Wald, beim Schwimmen, Laufen oder Klettern? Bei einer Massage, die ich mir gönne? Beim Yoga, in der Meditation, beim Musizieren oder Tanzen? Es kommt wahrscheinlich nicht so sehr darauf an, was es ist, sondern ob es stimmig ist, dem Bedürfnis entspricht, es stillt.

Stimmige Aktion füllt meine Schale. Für Menschen in helfenden Berufen ist es sinnvoll, sozusagen als „Gegenbewegung“ für sich selbst etwas zu tun.  Doch auch hier ist die Balance wichtig – die Mischung macht´s! Den privaten, sozialen Beziehungen Raum zu geben, Freud‘ und Leid zu teilen, gute Gespräche und gemeinsame Aktivitäten zu haben – das ist Lebensnahrung für uns Menschen. Doch dafür brauchen wir auch schon eine gewisse Fülle in uns.

Im Bild der Schale, ist für mich viel enthalten. Das Gefühl für den Raum, den Rahmen des Helfens, der Nähe und der Distanz und die Gestaltung der Beziehung. Dies sind Themen, mit denen Sie wahrscheinlich auch beschäftigt sind. Das Bild der Schale ermöglicht dabei, selbst berührbar zu bleiben, sich beruflich zu öffnen, ohne dabei auszubrennen. Der Blick auf die Ressourcen ist ungewohnt, aber unerlässlich.

Stefan Perner
Lehrender an der FH Campus Wien, Bachelorstudium Physiotherapie sowie in der Weiterbildung für Physiotherapeut:innen zum Thema Mental Health
Freiberuflicher Physiotherapeut mit Schwerpunkt Psychosomatik, Psychiatrie und psychosoziale Gesundheit