Hospiz- und Palliativeinrichtungen in Österreich

„Am liebsten hätte ich die Fische gestreichelt“

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Digitalisierung in der Hospiz- und Palliativversorgung

Die Digitalisierung ist ein Megatrend und wird alle Lebensbereiche durchdringen. Insbesondere der Gesundheitssektor steht vor großen Veränderungen, welche viele Chancen aber auch Risiken mit sich bringen. So sind „Digitale Gesundheits- und Pflegeanwendungen“ (DiGA, DiPA) mit dem eindeutigen Ziel des Kund:innennutzen, wie sie in Deutschland schon per Krankenschein verschrieben werden können, etwa Apps zur Diätbegleitung, auch in Österreich geplant.

Wichtig ist, dass bei der Digitalisierung im Gesundheitsbereich immer die Patient:innen und die Möglichkeiten des informierten und aufgeklärten Mitgestaltens und Mitentscheidens im Mittelpunkt stehen.

Auch abseits von medizinischen Aspekten bietet die Digitalisierung viele Möglichkeiten für „Patient-Empowerments“, etwa neuartige Möglichkeiten der Kommunikation und des Miteinanders. Ein Beispiel dafür wären Plattformen zur Koordination des „Care-Teams“, also aller in der Betreuung involvierten Personen.
Es gibt auch viele Entwicklungen zum Erhalt der Selbstständigkeit, Selbstbestimmtheit und Selbstverwirklichung. Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz, Virtual Reality, der „digitale Nachlass“ wie auch ein „digitales Weiterleben“ werden nicht nur erforscht, sondern sind teilweise bereits als Produkte verfügbar.

Dies bedeutet, dass sich der Hospiz- und Palliativbereich durch Digitalisierung verändert. Dabei sollen nicht alte Werte in Frage gestellt, sondern neue Möglichkeiten evaluiert und als zusätzliche oder verbesserte Angebote in Betracht gezogen werden.

Es ist deshalb wichtig, sich aktiv mit Digitalisierung zu beschäftigen, um auf gesellschaftlicher, organisatorischer und persönlicher Ebene grundlegende Entscheidungen treffen zu können.

Jetzt bin ich wieder da!

Herr K. hatte eine schnell verlaufende Form von ALS und lebte zu Beginn seiner Krankheit zu Hause mit persönlicher Assistenz. Er war sehr technologieaffin. Im Rahmen eines Erstgespräches wurden ihm weitere Möglichkeiten erklärt und er erkannte, dass smarte und assistierende Technologien ihm dabei helfen könnten, seine Selbstständigkeit zu erhalten. So wurde u.a. die vorhandene Alexa mit dem Fernseher verbunden, damit er diesen selbstständig bedienen konnte. Um die schwächer werdende Sprache zu unterstützen, kam ein Sprachverstärker, wie ihn auch Reiseleiter verwenden, zum Einsatz. Da Herr K. wusste, dass er den Computer mit Bildschirmtastatur und Maus bald nicht mehr bedienen können würde, wurde ein Sprachcomputer mit Augensteuerung Schritt für Schritt an seine Bedürfnisse angepasst. Herr K. meinte: „Das wird jetzt meine Kommandozentrale.“.

Als Herr K. nicht mehr zu Hause bleiben konnte und stationär betreut werden musste, konnte er während einiger Wochen seine IT-Geräte nicht nutzen. Als er mit Hilfe der Augensteuerung erstmals wieder seine persönlichen E-Mails abrufen und seine Bankgeschäfte erledigen konnte, meinte er erleichtert: Jetzt bin ich wieder da!“. Das Pflegepersonal und andere Begleiter:innen wurden eingeschult, um den Sprachcomputer so genau zu positionieren, dass die Augensteuerung gut funktionierte, und dabei durch Foto-Anleitungen und Markierungen an Bett und Boden unterstützt.

 Am liebsten hätte ich die Fische gestreichelt

Herr K. war Neuem gegenüber offen und nahm das Angebot an, auch eine Virtual-Reality-Brille auszuprobieren, „um noch einmal abzutauchen“ und so vor Australien einen virtuellen Tauchausflug erleben zu können. Entspannt meinte Herr K.: „Am liebsten hätte ich die Fische gestreichelt“. Im Anschluss wanderte er noch durch New York, absolvierte voller Begeisterung einen wilden Ritt auf einer Achterbahn und besuchte die Raumstation ISS. Bei all diesen Ausflügen wurde er von zwei Personen begleitet. Per Sicherheitssignal „Zunge herausstrecken“ zeigte Herr K. an, dass er eine Pause brauchte.

So begleiteten smarte und assistierende Technologien Herrn K. bis kurz vor sein Ableben und trugen wesentlich zu seiner Lebensqualität am Lebensende bei.

In dem EU-geförderten Forschungsprojekt „Quality End of Life“ (QeOL) wurden in den letzten drei Jahren sowohl Services zur Organisation der Pflege als auch Möglichkeiten zur Versorgung mit smarten und assistierenden Technologien und die Gestaltung von virtuellen Erinnerungswelten erforscht. Im Rahmen dieses QeOL-Projekts wurde dafür auch ein „Technikberatungsservice“ entwickelt, welches in die Praxis übergeführt werden soll. Die Geschichte von Herrn K. ist ein Beispiel dieser Beratungen und Versorgungen.

Mittels Augensteuerung wird ein Sprachcomputer gesteuert. Dieser schickt Sprachbefehle an Alexa, welche wiederum den Smart-TV  steuert.

Im Hospiz- und Palliativbereich ist gerade bei ALS-Patient:innen der Einsatz von Technologie in der Kommunikation bekannt und teilweise etabliert. Es gibt noch viele weitere smarte und assistierende Technologien, die helfen können, die Selbständigkeit und Selbstbestimmung und somit auch die Würde der Patient:innen zu erhalten. Smarte Technologien stehen hier für handelsübliche Geräte, wie etwa Smart-Phone, Tablet, Smart-Watch, Sprachassistenten und Smart-Home Lösungen. Assistierende Technologieprodukte und Dienstleistungen sind Lösungen, die gezielt für Menschen mit Behinderung, Menschen im Alter oder chronisch kranke Menschen entwickelt wurden. Beispiele dafür wären Sprachcomputer (Tobii-Communicator), Umgebungssteuerungen für Personen mit Mobilitätseinschränkungen (z.B. Housemate) oder auch Musizieren mit den Augen (z.B. EyeHarp).

Die richtige Technologie und das passende Service zu identifizieren, ist für Angehörige oder Gesundheitspersonal nicht trivial. Im Zusammenwirken eines multiprofessionellen Teams können gemeinsam gute Lösungen gefunden werden.

Das Forschungsprojekt Quality End of Life wurde im Rahmen des AAL-JP von der Europäischen Kommission und in Österreich vom BMK gefördert.

DI Martin Morandell,
Smart in Life e.U. martin@smartinlife.at  

Quellen: Interview, Gesundheitsminister Johannes Rauch und Staatssekretär Florian Tursky
Bild: Pexels