Hospiz- und Palliativeinrichtungen in Österreich

Mein Körper in der Krankheit

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Gespräch mit Frau Bezenker, 82 Jahre, Gehirntumor, Teil-OP vor 6 Jahren, wird vom Mobilen Palliativteam (MPT) der Caritas Socialis betreut, war zweimal Patientin auf der Palliativstation am Rennweg

„Kennen Sie die Werbung im Fernsehen, in der es heißt: ‚Jeden Tag kommt was Neues!‘, so fühl‘ ich mich auch. Jeden Tag kommt was Neues, aber meistens nix Gutes. Mal ist es die Erschöpfung, mal das nachlassende Gedächtnis, mal das Gehen mit dem Rollator. Das belastet mich schon immer wieder sehr.

Letztens war ich unterwegs zum Arzt, zum Hinfahren hab’ ich mir ein Taxi geholt, beim Nachhauseweg hab’ ich mir gedacht: „Du hast doch eine Jahreskarte, jetzt fährst Du auch mit den Öffis.“ Aber ich habe mich dabei übernommen. Ich war auf einmal so schwach. Ich hätte mir jemanden gewünscht, bei dem ich mich einhängen kann. Es waren so viele Menschen unterwegs, aber keiner hat mir geholfen. Ich hätte mir einen Dienstmann gewünscht – so wie damals der Hans Moser gesungen hat. So einen mit einer Dahlie. Bei dem hätt‘ ich mich dann untergehängt und er hätte mich nach Hause gebracht. Das ist es, was mich an meiner Krankheit am meisten belastet. Das Angewiesen-Sein. Hilfe zu brauchen, eigentlich nichts mehr wirklich allein zu können. Außer Gedichte schreiben.

Früher habe ich alles allein gemacht, ich habe ein Geschäft gehabt, mein Mann und ich haben zwei Kinder großgezogen. Mein Mann ist einige Jahre vor meiner Operation verstorben. Danach entstand das Büchlein „Du fehlst mir“, das dann später vom CS Hospiz herausgebracht wurde. Damit haben sie mir einen Herzenswunsch erfüllt.

Ich habe leidenschaftlich gern gemalt. Auch das geht jetzt nicht mehr, weil ich den Geruch der Ölfarben seit meiner Operation nicht mehr aushalte.

Matura oder Gedichte?
Vor ein paar Jahren, recht kurz nach meiner Operation und Reha hab’ ich mir in den Kopf gesetzt, die Matura zu machen. Ich wollte immer Lebensmittelchemie studieren, aber das Gymnasium konnten wir uns damals nicht leisten. Also bin ich in die Drogistenschule gegangen, hab bald dazuverdient und habe dann ein eigenes Geschäft gehabt. Vor ein paar Jahren also hat mein Enkel maturiert und ich hab’ mir gedacht, das wäre doch super, wenn wir gemeinsam maturieren und ich dann studiere. Also hab’ ich mich bei einer Maturaabendschule angemeldet. Am ersten Tag hat mir meine Tochter sogar eine Schultüte geschenkt. In meiner Klasse waren lauter ganz Junge, ich war mit Abstand die Älteste (lacht). Die wollten alle wissen, wieso ich das noch mache, wo ich doch schon ein Geschäft hatte… Dann kam die erste Mathematikstunde und da habe ich erkannt, dass ich doch nicht die Matura machen kann. Ich habe durch meine Operation, bei der auch ein Teil meines Gehirns weggenommen wurde, mein Zahlengedächtnis weitestgehend verloren. Ich habe dann recht schnell gemerkt, dass sich das nicht ausgehen wird, das mit der Matura und mir. Was ich aber bemerkt habe, ist, dass mir meine Gedichte wirklich wichtig sind. Ich brauche keine Matura, ich bleibe bei dem, was ich gut kann. Ich bin dann zu dem Besitzer der Schule gegangen, habe mich für die Möglichkeit der kostenlosen Teilnahme bedankt und ihm gesagt, dass ich bei meinen Gedichten bleibe. Er hat an diesem Tag Geburtstag gefeiert, ich habe ihm eins meiner Gedichte geschenkt und er hat sich sehr gefreut.

Ressourcen
Das Schreiben der Gedichte gibt mir sehr viel Kraft. Ich habe alles, meine Krankheit, die schweren Momente, die Zeiten auf der Palliativstation, aber auch die vielen schönen Dinge, die ich erlebt habe, in Gedichten festgehalten. Und das hat mich dann sogar ins Fernsehen und in die Zeitung gebracht. Das CS Hospiz hat für mich mein Büchlein veröffentlicht, nachdem ich auf der Palliativstation war. Das gibt mir Kraft. Bei meinem letzten Aufenthalt auf der Palliativstation habe ich beschlossen, ein Hörbuch herauszubringen. Mal schauen. Aber es ist mein Ziel. Das Wichtigste, was ich allen Menschen, die auch so eine Krankheit haben, mitgeben möchte, ist: ‚Schaut, dass ihr ein Ziel habt. Ob das nun ein Buch schreiben ist, oder für andere da zu sein, ist egal. Wichtig ist, dass Ihr ein Ziel und einen Sinn in Eurem Leben habt. Etwas, das Freude bereitet.‘

Glaube
Der Glaube ist sehr wichtig für mich. Ich bin in einem sehr gläubigen Haus aufgewachsen. Seit meiner Krankheit bin ich wieder intensiv gläubig. Ich versuche jeden Tag, bei einer Messe dabei zu sein. Immer schaffe ich es nicht, weil ich oft so erschöpft bin. Dann feiere ich die Messe im Radio mit. Aber Freitags bin ich immer in der Kirche. Es ist mir sehr wichtig, auch dafür dankbar zu sein, wie es mir geht. Nach meiner Operation bin ich die Kapelle des Krankenhauses gegangen und habe Gott dafür gedankt, dass die Krankheit jetzt – im richtigen Moment – gekommen ist. Ich bin in Pension, meine Kinder sind groß und können sich um sich selbst kümmern. Ich habe Zeit, um zu kämpfen, ich kann mich ganz auf mich konzentrieren und muss mir keine Sorgen um meinen Beruf machen. Auch dafür bin ich dankbar, dass ich krank geworden bin – und nicht eines meiner Kinder oder mein Enkelkind.

Familie
Meine Kinder, mein Enkel und ich haben ein enges Verhältnis. Wir sprechen offen über meine Krankheit, sie wissen, was ich will und was nicht. Sie unterstützen mich bei allem und begleiten mich zu allen Terminen. Ich beginne jetzt, für sie Ordnung in meine Hinterlassenschaft zu bringen. Ich ordne meine Geschichte und die meiner Familie. Was ist aufzuheben, was zum Wegschmeißen? Das Aufarbeiten ist ganz wichtig.  Ich will meinen Kindern nicht „irgendwas“ hinterlassen. Die wissen dann ja nicht, was sie damit tun sollen. Die Aufarbeitung der Familiengeschichte ist noch eines meiner Ziele.

Das Gespräch führte Marianne Buchegger

Hildegard Bezenker ist Autorin und Filmemacherin und lebt in Wien.
Informationen zum Gedichtband https://www.cs.at/presse/news-und-aktuelles/du-fehlst-mir-gedichtband-fuer-menschen-in-trauer

Informationen zu ihren Filmen https://www.youtube.com/watch?v=EbSUlXLV1Kk

Fotoquelle: Pexels