Hospiz- und Palliativeinrichtungen in Österreich

Brücken bauen – Validation und validierende Grundhaltung

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An einem sonnigen Mittwochvormittag traf ich Frau Bauer in ihrem Zimmer auf der Palliativstation. Frau Bauer war eine schlanke Frau in ihren Achtzigern, ihre langen, grauen Haare waren zu einem lockeren Zopf gebunden. Sie saß aufrecht an der Bettkante und sah aus dem Fenster auf die Terrasse. Die Tür zu ihrem Zimmer war angelehnt, ich atmete tief ein und aus und klopfte an. Frau Bauer drehte sich zur Tür. Ihr rechter Kiefer war durch eine große, offene Wunde sichtbar. Sie bedeckte die Wunde mit einem Taschentuch. „Ich komme nicht auf diese Scheißterrasse über diese Schwelle, und niemand hilft mir. Scheiße!“

Vor meinem Besuch hatte mich die Stationsleiterin bereits über Frau Bauers Sprache informiert, und darüber, dass sie auch schon handgreiflich geworden war, sobald Kolleg:innen versuchten, sich ihrer Wunde zu nähern.

Neben ihrer Krebserkrankung war Frau Bauer auch an Demenz erkrankt, die sich zum einen durch Herumwandern auf der Station, zum anderen durch gesteigerte Aggressivität gegenüber den Pflegepersonen zeigte. Die Kolleg:innen der Palliativstation waren durch diese „Mischung“ sehr gefordert, zudem fühlten sich andere Patient:innen durch Frau Bauers Herumwandern gestört.

Da stand ich nun und sah eine zutiefst traurige Frau. Sie blickte mich an und ich sagte „Das ist wirklich Scheiße“. Dann stellte ich mich vor und fragte sie, ob ich näherkommen dürfe. Frau Bauer stimmte mit einem Schulterzucken zu und ich ging zu ihr. Gegenüber ihrem Bett stand ein Lehnstuhl, der den Zugang zur Terrasse erschwerte. „Darf ich den Stuhl zur Seite schieben?“, fragte ich Frau Bauer. „Tun Sie, was Ihnen gefällt“, meinte sie und ich schob das Möbel weg. Der Wind blähte die bodenlangen Gardinen sanft ins Zimmer, die Sonnenstrahlen zeichneten ein schönes Muster auf den Boden. Ein friedvoller Moment, dachte ich. „Und, was ist jetzt? Sind Sie faul, oder was?“ Frau Bauer riss mich aus meinen Gedanken und ich war fast ein bisschen gekränkt, dass sie meine Mühen nicht bemerkte. „So empfinden die Kolleg:innen wohl auch“, dachte ich, „mit dem Unterschied, dass sie als Pfleger:innen zeitlich mehr unter Druck stehen, als ich in diesem Moment.“ Ich zentrierte mich und erwiderte: „Ich sehe mir an, wie schön die Vorhänge im Wind wehen und wie die Sonne scheint.“ Frau Bauer rutschte von der Bettkante und schlüpfte in ihre Hausschuhe. Sie drehte sich zum Bett und strich penibel die Bettdecke glatt. „In Ihrem Zimmer herrscht Ordnung“, stellte ich anerkennend fest. „Natürlich“, sagte Frau Bauer, „Es kann doch nicht unordentlich ausschauen. Was glauben´s, was die Leut´ dann von mir denken?“ Nun war sie bereit und gemeinsam gingen wir auf die Terrasse. „Hier ist es mir zu kalt“, stellte Frau Bauer fest, also kehrten wir ins Zimmer zurück. Sie setzte sich wieder auf ihre Bettkante und blickte mich an. „Darf ich mich zu Ihnen setzen?“, fragte ich sie und als sie nickte, setzte ich mich zu ihr.

In der folgenden Woche ging ich noch einige Male zu Frau Bauer, einmal kam sie auf Besuch ins Tageszentrum. Parallel zu meinen Besuchen bei ihr sprachen die stationsleitende Kollegin und ich intensiv über Frau Bauers Verhalten, ihre Biografie und Möglichkeiten der Begegnung zwischen den Kolleg:innen in der Pflege und Frau Bauer.

„Wieso dreht sie bei uns so auf?“, war eine der drängendsten Fragen der Kollegin. Es stellte sich heraus, dass Frau Bauers Bedürfnis, gehört und wahrgenommen zu werden, nicht ausreichend erkannt worden war.

 

Im Jahr 2050 werden 135 Millionen Menschen 65 Jahre und älter sein. Dieser Zuwachs an älteren Menschen bedeutet auch einen Zuwachs an Menschen mit Demenz. Alzheimer Europe schätzt, dass im Jahr 2050 allein in Europa 14 Millionen Menschen an Demenz erkrankt sein werden, was einer Steigerung von 50 % entspricht – etliche dieser Menschen werden entweder auf Palliativstationen, in stationären Hospizen, von mobilen Palliativteams oder Hospizteams betreut werden. Diese Perspektive macht es unumgänglich, dass Mitarbeiter:innen im Umgang mit Menschen mit Demenz geschult werden.

Ein Grundstein in der Kommunikation mit Menschen mit Demenz ist die Validation.
Das Wort Validation leitet sich aus dem Englischen „to validate“ – etwas bestätigen oder für gültig erklären – ab.

Die US-amerikanische Gerontologin Naomi Feil brachte die Technik der Validation in den 1990er Jahren nach Europa. Sie selbst war in einem von ihrem Vater geleiteten Altersheim aufgewachsen und hatte in jahrelanger Beobachtung und Forschung die Technik der Validation entwickelt.

Validation ist eine Kommunikationsmethode, um mit dementen Personen in Kontakt zu treten und den Umgang mit ihnen zu erleichtern. Sie lehrt, mittels Empathie, die Wirklichkeit des dementen oder desorientierten Menschen anzuerkennen, zu verstehen und wertzuschätzen. Validierende Grundhaltung bedeutet „in den Schuhen des anderen zu gehen“. Anstatt mit verwirrten Menschen zu schimpfen oder ihnen rational zu erklären, warum sie ihre Handtasche nicht mit aufs WC zu nehmen brauchen, wird bei der Validation anerkannt, dass die Handtasche einen wichtigen Teil der Identität darstellt, der nicht einfach „aufgegeben“ werden kann. „Schwieriges“ Verhalten, das für das soziale Umfeld nervenaufreibend ist, kann durch Validation reduziert werden, manchmal sogar verschwinden oder Pflegende und Angehörige lernen zumindest, besser damit umzugehen.

Die vier Grundprinzipien der Validation von Menschen mit Demenz lauten dementsprechend:

  • Akzeptanz und Wertschätzung
  • Würde bewahren
  • Einfühlung und Empathie
  • spürbar ehrlich und authentisch sein

Petra Fercher, Validationstrainerin und Autorin, schreibt

„Naomi Feil hat vier Phasen im Stadium des Aufarbeitens definiert, in denen sich alte, desorientierte Menschen befinden können. Der Übertritt in eine nächste Phase bedeutet einen weiteren Rückzug aus der Realität. In jeder dieser Phasen sind andere verbale und nonverbale Validationstechniken sinnvoll. Durch die Validation entsteht eine einfühlsame (empathische) Grundhaltung gegenüber den Menschen, die dauerhaft eingenommen werden soll. Die verschiedenen Validationstechniken wenden Sie hingegen jeweils nur für einige (zirka 5 bis 15) Minuten an.

Um das zu können, müssen Sie sich zuerst „zentrieren“: Nehmen Sie sich vor der Validation einen Moment Zeit, um tief einzuatmen und ihre Körpermitte zu finden. Lassen Sie Ihre Gefühle und Urteile für die Zeit der Validation draußen – konzentrieren Sie sich ganz auf den verwirrten Menschen, beobachten Sie ihn und nehmen Sie ihn als Person wahr. Zu Ihren Gefühlen (z.B. Enttäuschung, weil der alte Mensch Sie nicht erkennt) kehren Sie erst nach Ablauf der Validation zurück und reflektieren diese.“

Die validierende Grundhaltung, das absichtslose Anerkennen der Welt des anderen, sowie die Techniken der Validation sind Möglichkeiten, um Brücken zwischen den Pflegenden und den Gepflegten zu bauen. Diese Techniken stellen aber auch einen Werkzeugkasten dar, um Pflegepersonen für die kommenden Herausforderungen der Palliative Care und Dementia Care zu befähigen und zu stärken.

 

Marianne Buchegger ist Leiterin des Tageszentrums für SeniorInnen und Menschen mit demenzieller Erkrankung bei CS Caritas Socialis // Koordinatorin Promenz Gruppe 1030 // Lehrgangsbegleitung ULG Palliative Care Vertiefung Pflege PMU Salzburg // Blogverantwortliche bei Hospiz Österreich

 

Quellen:
https://www.meinmed.at/therapie/validation/1764, Abruf am 30.08.23
https://kaemmer-beratung.de/wp-content/uploads/2017/11/17_11_06_Validation-nach-Naomi-Feil-MH.pdf, Abruf am 30.08.23
Bildquelle: Pexels