Hospiz- und Palliativeinrichtungen in Österreich

Eine Wiese für früh verstorbene Babys

veröffentlicht am

Ich treffe Renate Hlauschek, Leiterin der KI-JU-PALL-Teams von MOKI NÖ und Mitinitiatorin des Projekts „Palliative Geburt“ im Landesklinikum Mödling, an einem Nachmittag nach Ostern zu einem Gespräch über Palliative Geburt, zu früh verstorbene Babys, trauernde Eltern und das Leben. Es ist ein Gespräch, wie viele und trotzdem anders. Unser Gespräch handelt von Kindern, die kurz vor, während oder bald nach der Geburt versterben. Ich merke, dass mich das Thema stark berührt, vielleicht, weil ich selbst Mutter bin?

„Ja, das kann sein“ stimmt Renate Hlauschek zu. Ich möchte von ihr wissen, wie sie und ihr Team dieses „Berührtsein“ erleben und wie sie damit umgehen. „Weißt Du, wir sind mitten in der Situation. Wir haben nicht die Möglichkeit, zu überlegen und zu sagen „Oh, das ist heftig, das schaffe ich nicht“ – wir sind im Tun. Natürlich gibt es berührende Momente und manchmal ist es intensiv, aber grundsätzlich sind wir mitten drin.“

Im Zuge einer Schwangerschaft werden viele Untersuchungen im Rahmen der Pränataldiagnostik gemacht. Immer wieder wird bei diesen Untersuchungen festgestellt, dass das ungeborene Kind schwer erkrankt ist und entweder bei der Geburt oder kurz danach versterben wird. Wird eine solche Diagnose gestellt, kann die Palliative Geburt für die Eltern eine Möglichkeit sein, mit der Situation umzugehen.

Renate Hlauschek erzählt: „Die Eltern erhalten von den Gynäkolog:innen oder Pränataldiagnostiker:innen die erste Diagnose. Danach muss eine Zweitdiagnose durch eine:n andere:n Pränataldiagnostiker:in eingeholt werden. Bestätigt diese:r die erste Diagnose, werden die Eltern an unser Team weiter verwiesen.“

Ist bei diesen Diagnosegesprächen auch schon ein:e Psycholog:in dabei?

„Nein, nicht zwangsläufig. Die erste Diagnose stellen ja die Gynäkolog:innen. Bei der Zweitdiagnose wäre es sicher sinnvoll, wenn auch ein:e Kinderarzt:in dabei wäre, um den Eltern die Auswirkungen der Erkrankung auf das Kind und sein verkürztes Leben zu beschreiben. Diese umfassende Aufklärung wäre aus meiner Sicht im Entscheidungsprozess für die Eltern sehr hilfreich.“

Welche Möglichkeiten haben die Eltern nach einer lebensverkürzenden Diagnose ihres ungeborenen Kindes?

Renate Hlauschek erzählt: „Ist eine schwere Erkrankung des Kindes festgestellt, so ist in Österreich ein Schwangerschaftsabbruch bis vor Wehenbeginn unter besonderen Umständen möglich.  Bei dieser Variante wird die Geburt bis zur 22. Schwangerschaftswoche eingeleitet.  Nach der 22ten Schwangerschaftswoche gibt es andere Möglichkeiten, die Schwangerschaft zu beenden. Diese Möglichkeiten müssen immer ganz individuell mit den behandelnden Ärzt:innen und Pränataldiagnistiker:innen besprochen werden.

Wollen die Eltern keinen Abbruch der Schwangerschaft, so ist es möglich, das Kind bis zum Schluss, also bis zum natürlichen Zeitpunkt der Geburt, auszutragen. Die Geburt geht dann ganz „normal“ los. Das Neugeborene und die Eltern können danach bis zu sechs Stunden bei uns im Kreißsaal bleiben. Entweder verstirbt das Baby in dieser Zeit oder die Familie kommt auf der Station mit pädiatrischen Palliativbetten in ein eigenes Zimmer. Hier kann die Familie sich dann in Ruhe verabschieden oder das Baby lebt doch noch einige Wochen oder Monate. Dann geht die Familie nach Hause und wir begleiten sie mit dem Kinder- und Jugendpalliativteam (KI-JU-PALL Team) zu Hause weiter. Ist das Baby bereits im Kreißsaal oder auf der Station verstorben, so begleitet das Team die Familie in der Trauer zu Hause noch bis zu einem Jahr weiter.“

Ab dem Zeitpunkt der Entscheidung für eine palliative Geburt steht den Familien während der Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett ein interdisziplinäres Team, bestehend aus Pränataldiagnostiker:innen, Neonatolog:innen, Palliativmediziner:innen, Hebamme, diplomierten Gesundheits- und Krankenpflegepersonen, Psycholog:innen, Seelsorge und den Kinder- und Jugend-Palliativteams zu Verfügung. Diese Betreuung und Begleitung sind in Niederösterreich kostenlos. „Zentral ist für uns im Team, die Eltern von der Diagnosestellung an zu begleiten. Die Eltern stehen vor einer völlig neuen Situation, fühlen sich überfordert. Wir besprechen mit ihnen die unterschiedlichen Möglichkeiten und unterstützen sie bei der Entscheidungsfindung und dem Weg, der danach kommt.“

Werden auch die Geschwisterkinder begleitet?

„Geschwister spielen eine sehr wichtige Rolle. Wir versuchen Eltern immer zu vermitteln, wie wichtig es ist, die älteren Kinder einzubinden.
Ich habe einmal eine Familie begleitet, deren erste Tochter schon sieben Jahre alt war. Bei der zweiten Tochter wurde im Rahmen der Pränataldiagnostik eine schwere Erkrankung festgestellt, die dazu führte, dass sie nur an der Nabelschnur der Mutter überlebensfähig war. Die Eltern haben sich für die palliative Geburt entschieden, waren aber sehr zögerlich, ob ihre ältere Tochter das Baby nach der Geburt sehen soll. Sie sagten: ‚Wenn sie schön aussieht, dann schon.‘ Als das Baby auf der Welt war, durfte die ältere Schwester es sofort sehen und sie halten. Die Familie hat sich dann gemeinsam verabschiedet, der Sternenkindfotograf war da und hat wunderschöne Fotos von allen zusammen gemacht. Ich habe die Familie dann noch einige Zeit begleitet und bei unserem Abschlussgespräch hat mir die Mutter erzählt, dass ihre ältere Tochter liebevoll von ihrer Schwester erzählt, in der Schule und ihren Freundinnen. Es war für sie sehr wichtig, die kleine Schwester gesehen zu haben.“

Wenn sie einen Wunsch frei hätte, welcher wäre es?

„Ich wünsche mir, dass die Mittel des Hospiz- und Palliativfondsgesetz so genutzt werden können, dass wir die Begleitung aller betroffenen Familien vor, während und nach einer Palliativen Geburt, einer Todgeburt, einer Fehlgeburt österreichweit gewährleisten können.“

Renate Hlauschek, MMSc lebt und arbeitet in Niederösterreich. Sie ist Geschäftsführerin des Vereins MOKI NÖ und Mitglied des Leitungsteams ULG PALL PÄD. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Kinder- und Jugendlichenkrankenpflege zu Hause, Beratung und Begleitung für Kinder und Eltern in ihrer vertrauten Umgebung, Betreuung frühgeborener Babys, Säuglingspflege, Betreuung von Kindern, Jugendlichen mit chronischen Erkrankungen und Behinderungen und deren Familien zuhause.
www.noe.moki.at

Das Interview führte Marianne Buchegger

Bildquelle: pexels