Hospiz- und Palliativeinrichtungen in Österreich

Die Würde des Menschen ist unantastbar

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Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Sie ist zu achten und zu schützen.

Artikel 1 – Charta der Grundrechte der Europäischen Union

Aber, was ist das denn „Würde“? Das, was mir Würde gibt, ist in vielen Teilen sicherlich ähnlich dem, was Ihnen, liebe Leserin und lieber Leser, Würde gibt. Zugleich gibt es sicherlich sehr viele Unterschiede.

Wie also kann der Würde der uns anvertrauten Menschen in der Pflege und Betreuung Genüge getan werden? Was können wir als „professionelle (Pflege-)Personen“ dazu beitragen, die Würde unserer Gäste, Patient:innen, Bewohner:innen, Klient:innen aufrecht zu erhalten? Wie können wir sie darin unterstützen, ihre Würde zu behalten oder wieder zu erlangen?

Eine Möglichkeit ist die Würdezentrierte Therapie. Entwickelt wurde die Würdezentrierte Therapie als „Dignity Therapy“ von dem kanadischen Psychiater und Palliativmediziner Dr. Harvey Max Chochinov. Die Würdezentrierte Therapie ist eine psychologische Kurzintervention für unheilbar kranke Menschen oder Menschen am Ende ihres Lebens. Die Intervention zielt auf die Reduktion von Belastungen und die Stärkung des Würdeempfindens der Patient:innen durch biografische Ressourcen, sowie auf deren Wunsch, ihren An- und Zugehörigen etwas von sich selbst zu hinterlassen (Generativität). Die Erstellung eines Generativitätsdokuments sowie die empathische Grundhaltung der Therapeutinnen und Therapeuten sind Säulen der Würdezentrierten Therapie.

Chochinov publizierte erstmals um die Jahrtausendwende zur Würdezentrierten Therapie. Seither findet diese Interventionsform immer mehr Beachtung und wird mittlerweile in zahlreichen Hospiz- und Palliativeinrichtungen in ganz Europa angewendet.

In Österreich steht die Würdezentrierte Therapie noch am Anfang ihrer Entwicklung. Ich treffe Karin Böck, zertifizierte Therapeutin für Würdezentrierte Therapie, zum Gespräch: „Die Würdezentrierte Therapie ist ein Tool, ein Werkzeug für die letzte Lebensphase. Es ist eigentlich eine Form der Biographiearbeit. Wenn Menschen aufgrund von schweren Erkrankungen betreut und gepflegt werden müssen, verändert sich das Bild, das sie von sich selbst haben. Sie nehmen ihre Abhängigkeit wahr, sie erleben Schmerz und Trauer, sie verlieren viele ihrer Rollen. Diese Situationen werden oft als würderaubend erlebt. Durch den Dialog, den ich im Rahmen der Würdezentrierten Therapie mit den Menschen führe, versuche ich, ihre Würde für sie wieder sichtbar zu machen.“

Wie funktioniert das? Ich bitte Karin um eine genauere Beschreibung.

„Ich treffe Menschen zu maximal einstündigen Gesprächen, in denen ich Fragen stelle und aktiv zuhöre.  Sie werden dadurch angeregt über ihr Leben und darüber, was ihnen besonders wichtig ist, zu sprechen. Das Gespräch wird von mir aufgenommen, transkribiert und zu einem Dokument zusammengefasst. Dieses Dokument bringe ich dann meiner/m Gesprächspartner:in zurück, gebe es jedoch nicht gleich aus der Hand, sondern lese es zuerst vor.

In diesem Moment entsteht oft ein Staunen über das eigene Leben: „Wow, DAS bin ich?“. Karin lächelt: „Das ist immer wieder sehr berührend. Nach dem Vorlesen haben die Menschen die Möglichkeit, Korrekturen vorzunehmen. Für viele ist es wichtig, das fertige Dokument einer geliebten Person zu widmen.“

Das klingt nach einem großen Effekt einer eher unaufwändigen Maßnahme.

„Ja“, stimmt Karin Böck zu, „Es handelt sich um eine Kurzintervention, die dazu beitragen kann, die Würde der Menschen, die sich am Ende ihres Lebens befinden, aufrechtzuerhalten und zu stärken. Der Blick wird auf die Ressourcen und sinnstiftenden Momente des Lebens gerichtet. Auf die Frage: „Was ist mir wichtig, was möchte ich hinterlassen?“

Welche Fragen stellt Karin Böck in dem Gespräch?

„Nun, zum Beispiel stelle ich Fragen nach Schlüsselmomenten in der Lebensgeschichte. Wann haben Sie sich besonders lebendig gefühlt? Was war das Besondere? Auf welche Leistungen sind Sie besonders stolz? Was haben Sie über das Leben gelernt und möchten Sie gerne weitergeben?“ Dazu hat jede und jeder etwas zu erzählen.

Karin Böck, MAS (Pall.Care), DGKP,
Erwachsenenbildnerin. Großmutter,
palliativ@karinboeck.at

Quellen: Harvey Max Chochinov (2017) Würdezentrierte Therapie. Was bleibt – Erinnerungen am Ende des Lebens
www.patientenwuerde.de
https://www.dignityincare.ca/en/
Bild: pexels