Hospiz- und Palliativeinrichtungen in Österreich

Wodurch lässt sich Leid besser aushalten und ertragen?

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Kann der Mensch am „Leid Erdulden“ wachsen? Hat der leidende Mensch die Möglichkeit oder gar die Pflicht, für andere Vorbild zu sein?

Die Wiener Logotherapeutin und Existenzanalytikerin Silvia Längle schreibt dazu

„Zu allererst muß ich erleben können und spüren können: Das Leben trägt weiter, es zerbricht nicht. Es braucht vor allem Begegnungen mit Menschen, die dem Leid standhalten, die nicht zurückweichen, die nicht vor Schreck den Blick abwenden. Ich brauche nicht Antworten, nach denen ich noch gar nicht gefragt habe, ich wäre noch gar nicht offen dafür. Ich brauche Menschen, die mir nichts aufdrängen und auch noch keine Patentlösungen bereithalten. Ich brauche als Betroffener etwas, was meine panische Angst vor dem Unbekannten eingrenzt. Es geht darum, wie ich den Halt finde, hinschauen zu können. Und Menschen, die es ertragen können, daß es mir jetzt so geht, daß es jetzt einmal so ist. Es ist so – jetzt. Mehr nicht. Auch diese Behinderung, diese Krebserkrankung: ja, die gibt es. Es geht nur darum, das Erleben zu nähren: diese Behinderung kann sein, und ich kann sein.“

Logotherapie und Existenzanalyse entstanden aus der Überzeugung, dass das Leben unter allen Umständen sinnhaft ist.

Viktor Frankl, der Begründer der Logotherapie, ging davon aus, dass trotz Leiderfahrungen, das Leben sinnvoll bleibt.  In „Trotzdem ja zum Leben sagen“ beschrieb er seine zentrale Erfahrung im Konzentrationslager, nämlich, dass es möglich ist, selbst unter den schrecklichsten Umständen noch einen Sinn im Leben zu sehen. Seine These: ‚Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie‘.

Er entwickelte Methoden, um Menschen in der Sinnfindung zu unterstützen. Dabei ist die Sinnerfüllung nicht von der körperlichen Gesundheit oder dem Wohlbefinden abhängig.

Immer wieder fragen Klient:innen, ob sie sich den Herausforderungen des Lebens stellen müssen. Manche zweifeln an ihren Fähigkeiten ihren personalen Sinn zu finden. Vor allem in Situationen, die existentiell bedrohlich sind, kann es sehr schwierig sein, die Sinnhaftigkeit zu sehen. Warum passiert diese Krankheit mir? Warum muss ich sterben? Warum muss ich leiden?

Verantwortung für das eigene Leben bedeutet auch die Freiheit, seine Einstellung zu den Gegebenheiten verändern zu können.

Aus Leiderfahrungen können Erfahrungskompetenzen entwickelt werden. Gerade die Einengung und Einschränkung der Möglichkeiten, kann bei Menschen dazu führen, Verzicht zu leisten und dadurch zu wachsen. In der Akzeptanz des Leidens erfährt der Mensch einen Zuwachs an Kraft – da das Schicksal im Außen nicht mehr gestaltet werden kann, wird es innerlich bewältigt.

Mir ist sehr wichtig zu betonen, dass es nicht darum geht, Leid, um des Leidens Willen auszuhalten oder zu ertragen. Ganz im Gegenteil! Dort, wo Leid vermeidbar ist, soll es unter allen Umständen vermieden werden. Ist Leid jedoch schicksalshaft oder unabänderlich, so müssen Strategien zur Bewältigung entwickelt werden. Was kann dabei hilfreich sein? Alle Erfahrungen, die wir im Laufe unseres bisherigen Lebens gemacht haben. Alles, was wir erfahren und erlebt haben, die gesamte Vergangenheit ist unwiderruflich geschehen und in uns existent. Viktor Frankl prägte das Gleichnis, das Leben sei wie ein Acker: die gelebten Jahre sind abgemäht, ein Stoppelfeld, der Ertrag, die Ernte ist in der Scheune eingebracht. Der Inhalt der Scheune wird immer mehr, je älter wir werden, der Reichtum an Erfahrungen, an Erlebtem wächst.

Unabhängig von Weltanschauung und Konfession hat der Mensch die geistige Fähigkeit, sein Selbstbild zu verändern, dadurch ändert sich sein Menschenbild und auch sein Weltbild – und möglicherweise sein Gottesbild: das Leben wird als Geschenk, als Gnade empfunden.

Ich erlebe, dass es in der letzten Lebensphase häufig sehr wichtig ist, auf ein „reifes“ Leben, also auf ein gelebtes und erlebtes, ein sinn-volles Leben zurückschauen zu können. Habe ich mein Leben bewusst und nach eigenen Entscheidungen gelebt? War ich selbstbestimmt? Ein solches Fundament kann auch in der extremen Leiderfahrung der Sterbephase eine Stütze sein.

In der Begleitung bedeutet dies für mich aus logotherapeutischer Sicht, Leid aushalten zu können, Vertrauen aufzubauen und Halt zu geben. Anzuerkennen und anzunehmen. Darin erkenne ich Sinn.

Michaela Kiesling arbeitet als Tuina Praktikerin und Logotherapeutin in Wien. Sie beschäftigt sich intensiv mit den Umbruchsphasen im Leben, besonders mit Geburt und Tod

Quellen:
Länge, S. – Existenzanalyse der Behinderung – Schlüsselstellen im Verständnis und Zugang. In: Tagungsbericht 1996 der GLE, 9-20
Längle, A. – Sinnspuren. St.Pölten-Wien-Linz: NP Buchverlag, 2000
Wutscher, K.  – Sterben ist Leben. 2001
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