Hospiz- und Palliativeinrichtungen in Österreich

Was ist dir heilig?

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Spirituelle Ressourcen am Lebensende

Der brasilianische Theologe Leonardo Boff erhält während seines Studiums in München einen Brief aus seiner Heimat: Sein Vater sei plötzlich gestorben. Er entdeckt im Briefumschlag einen kleinen Zigarettenstummel – den Rest der letzten Zigarette, die der Vater geraucht hat. Leonardo Boff schreibt: „Von diesem Augenblick an ist der Zigarettenstummel kein einfacher Zigarettenstummel mehr. (Er) lebt, spricht vom Leben und begleitet mein Leben. (…) Mein geistiges Auge sieht die väterliche Gestalt vor sich, wie sie (…) den Tabak rollt, das Feuerzeug anzündet, lang an der Zigarette zieht, (…) Zeitung liest bis tief in die Nacht hinein, im Büro arbeitet und dabei raucht (…) und raucht.“ (Boff, L.: „Kleine Sakramentenlehre“, Düsseldorf 1976).

Wer das Zimmer von schwerstkranken und sterbenden Menschen zuhause, im Krankenhaus, im Hospiz, im Alten- und Pflegeheim oder auf der Palliativstation betritt, dem begegnen viele Ansatzpunkte für das, was ihnen „heilig“ ist: der Rosenkranz, das Bild des verstorbenen Vaters und vieles mehr. Schon zu Lebzeiten und mitten in unserem Alltag tragen wir heilige Zeichen, Erinnerungen, Bilder in uns und bei uns. Sie sind uns unglaublich wertvoll und deuten eine Wirklichkeit an, die man nur mit dem Herzen sehen kann.

Wenn Palliativmediziner*innen die körperlichen Schmerzen gut lindern konnten, wenn Palliativpflegekräfte Wunden gut versorgt haben oder alle anderen an der Begleitung Sterbender beteiligten Menschen ihre „offensichtlichen Aufgaben“ getan haben – dann ist für viele Patient*innen Raum und oft auch noch Zeit für existentielle Fragen:
Wem bin ich in meinem Leben etwas schuldig geblieben?
Warum gerade ich?
Wo ist Gott im Leid?
Trägt mich mein Glaube auch durch diese schwere Lebenszeit?
Wie fällt die Bilanz meines Lebens aus?
Wofür bin ich dankbar?
Was geschieht mit meinen Lieben, die zurückbleiben müssen?

Und auch für die An- und Zugehörigen beginnt mit der Diagnosestellung nicht selten die Trauerarbeit mit den ihr eigenen Fragestellungen.

Bei spiritual care geht es dabei immer um eine zugewandte, hörende Haltung, die nichts überstülpt, sondern ganz dem jesuanischen Ansatz in Lk 18,41 entsprechend fragt: „Was willst du, das ich dir tun soll?“.

Und spiritual care knüpft an die spirituellen Ressourcen an, die im positiven Sinne ganz eingerahmt und ummantelt im Kontext religiöser Rituale und Gewissheiten zu finden sein können, die uns aber auch sehr frei und ungebunden, aber immer individuell entgegenkommen. Ein Beispiel kann hier der im Projekt „Letzte Lieder“ von Stefan Weiller betonte Schwerpunkt auf dem „Soundtrack des eigenen Lebens“ sein und damit auf den Liedern, die uns berühren und durch das Leben begleiten (Weiller, S.: „Letzte Lieder: Sterbende erzählen von der Musik ihres Lebens“, Hamburg 2017)

Für Begleitende sollte es bei den Heiligen Dingen von Patient*innen kein richtig oder falsch geben. Es ist die jeweils eigene subjektive Wahrheit, die Menschen am Ende ihres Lebens helfen kann, damit sie gestärkt, menschlich und kompetent begleitet dieses letzte Stück Lebensweg gehen können. Für die Menschen an ihrer Seite – Angehörige wie Helfer – kann die Frage „Was ist dir heilig?“ ebenfalls zur Kraftquelle werden.
Im Blick auf eigene spirituelle Ressourcen kann letztlich der Mut erwachsen, den Tod und das Leben zutiefst ernst zu nehmen – um ein Stück leichter leben zu können.

Markus Starklauf, Dipl. Theol., Leiter der Hospiz-Akademie Bamberg, Praxis für Psychotherapie

Bildquelle: pexels

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Wir nehmen diesen Beitrag zum Anlass, uns auf die Suche oder das Wiederentdecken unserer Kraftquellen zu konzentrieren und in die Sommerpause zu gehen.

Wir wünschen Ihnen eine gute und erholsame Zeit, um zu entspannen, zu regenerieren und die eigenen Ressourcen zu speisen.

Auf ein Wieder-Lesen im September freuen wir uns!

Bleiben Sie uns gewogen,

Marianne Buchegger, Catrin Neumüller und Rainer Simader