Hospiz- und Palliativeinrichtungen in Österreich

Doing is a very good medicine

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Die Rolle der Ergotherapie in der Hospiz- und Palliativversorgung

Was machen Ergotherapeut*innen?

Das Wort Ergotherapie leitet sich aus dem Griechischen „ergein“ (handeln, tätig sein) ab und geht davon aus, dass sinnvolles Handeln nicht nur ein menschliches Grundbedürfnis ist, sondern auch eine heilende und gesundheitsfördernde Wirkung hat. Das Ziel der Ergotherapie ist, durch Handlungen und damit verbundene Erfolgserlebnisse, die Gesundheit und die Lebensqualität der Klient*innen positiv zu beeinflussen.

Das beste Beispiel für die Wirksamkeit von Handlungen habe ich bei einer älteren Dame erlebt. Sie hatte mit einer 24-Stunden-Pflege zu Hause in sehr ländlicher Umgebung gelebt und musste aufgrund ihrer schweren Tumorerkrankung eines Tages ins Pflegeheim übersiedeln. Zuhause hatte sie wenig Besuch bekommen, da Kinder und Freunde weiter weg wohnten. Sie wollte nie in ein Pflegeheim, weil das für sie ein „Sterbeort“ war. Aber mit der Übersiedlung kam für sie die große Überraschung. Sie erhielt von Beginn an Ergotherapie und es wurde ein ressourcenorientierter Handlungsplan erstellt. Sie wurde ermutigt, bei Gruppenaktivitäten teilzunehmen und schloss dort sehr schnell Freundschaften. Durch das ergotherapeutische Training konnte sie wieder handwerklich arbeiten und der Einsatz von Hilfsmitteln ermöglichte ihr die selbstständige Durchführung der Morgenpflege und des Toilettenganges. Die Frau blühte auf, genoss ihre verbliebene Lebenszeit in vollen Zügen und sagte kurz vor ihrem Tod: „Wenn ich gewusst hätte, was ich noch alles tun kann, wäre ich früher gekommen“.

In meiner Tätigkeit als Ergotherapeutin in der Palliative Care habe ich fast immer mit multimorbiden, älteren Menschen zu tun, die sich in einer Phase befinden, in der sie sich mit dem Tod auseinandersetzen. Je nachdem, welche Bedürfnisse die Klient*innen haben, kann es in der ergotherapeutischen Arbeit darum gehen, dass Handlungen, wie sich „anziehen“ oder „auf die Toilette gehen“ trainiert werden, um den Alltag wieder selbstwirksam bewältigen zu können.

Bei Menschen mit lebensverkürzenden Erkrankungen kann der ergotherapeutische Fokus aber auch auf der Erlebnisdimension von Handlungen liegen. Schwerstkranke Klient*innen haben oft das Bedürfnis nach erholsamen Handlungen, wie zum Beispiel Musik hören oder „nur“ schmerzfrei in der Sonne sitzen. Oder sie sehnen sich nach Handlungen, die Teilhabe ermöglichen, wie zum Beispiel Kaffeetrinken mit Freunden. Es gibt auch den Wunsch, autobiografische Geschichten zu verfassen oder den Kindern geheime Familienrezepte weiterzugeben, da diese Handlungen Lebenskontinuität und Zukunftshoffnung widerspiegeln. Am Lebensende wird es immer wichtiger, seine Zeit noch mit subjektiv sinnstiftenden Handlungen zu füllen. Das selbstständige Duschen, Anziehen oder Essen werden oft noch als Therapieziel von Angehörigen gewünscht, haben jedoch für die Schwerstkranken oft wenig bis keine Bedeutung mehr.

Je älter Menschen werden, desto mehr gewinnen Rituale, Routinen und spirituelle Handlungen im Umgang mit dem Tod an Bedeutung. Sie erlauben die Auseinandersetzung mit der Vergänglichkeit des (eigenen) Lebens. Daher ist es enorm wichtig, bei Bedarf spirituelle Handlungen, z.B. Friedhofsbesuche, Begräbnisse, Kirchgänge, Kerzen anzünden etc. durch nahestehende Personen zu ermöglichen. Die Durchführung dieser Handlungen oder die Partizipation stellt aber vor allem bei bettlägerigen oder bewegungseingeschränkten Heimbewohner*innen eine besondere Herausforderung dar. Auch aufgrund von Personalmangel oder Kontaktbeschränkungen waren Abschiedshandlungen in letzter Zeit oft gar nicht möglich. Ich habe hier sehr traurige Situationen erlebt. Manchmal haben ältere Menschen erst nach einigen Wochen oder in einem beiläufigen Gespräch erfahren, dass ehemalige Zimmernachbar*innen gestorben waren. Im Hinblick auf das eigene Sterben kann dieser Umgang mit dem Tod zu Gefühlen von Angst bis Hoffnungslosigkeit führen.

Daher ist es mir als Ergotherapeutin sehr wichtig, Bewusstsein für die Wichtigkeit der Durchführung und Einhaltung von bestimmten Ritualen, Routinen und Handlungen zu schaffen. Dazu braucht es entsprechende Rahmenbedingungen, den multiprofessionellen Dialog und entsprechende Fortbildungen, um unterschiedliche Sichtweisen und Lösungsansätze zu erfahren.

Aufgaben der Ergotherapeut*innen:

  • Training von Aktivitäten des täglichen Lebens und ressourcenorientierte Handlungsplanungen
  • Erarbeitung von Strategien im Umgang mit Symptomen wie Fatigue, Schmerz und Kurzatmigkeit, die während der Durchführung von Alltags- und Freizeitaktivitäten auftreten
  • Hilfsmittelberatungen und Hilfsmittelversorgungen, Wohnraumadaptierungen und Anpassung der Umgebung zur Förderung von Aktivität
  • Entwicklung von ergonomischen Lagerungs- und Positionierungsmöglichkeiten in Zusammenarbeit mit dem betroffenen Menschen und seinen Betreuungspersonen
  • Unterstützung und Begleitung von Angehörigen im Betreuungsalltag oder bei Alltagshandlungen

Wie wird Ergotherapie bereitgestellt und finanziert?

Ergotherapeut*innen arbeiten in Krankenhäusern, Rehazentren, Pflegeeinrichtungen, Ambulanzen, Ambulatorien sowie in Praxen und bei mobilen Diensten. Viele Ergotherapeut*innen machen auch Hausbesuche. Es gibt Vertragstherapeut*innen, hier übernimmt die jeweilige Krankenkassa (BVAEB, SVS, ÖGK) die gesamten Kosten. Außerdem gibt es Wahltherapeut*innen, bei denen man zunächst die Therapie vorfinanzieren muss und die Krankenkasse nach Einreichung der Honorarnote die Kosten zum Teil rückerstattet.

Um Ergotherapie in Anspruch nehmen zu können, muss eine ärztliche Überweisung vorliegen. Unter diesen Link findet man Ergotherapeut*innen: Therapeut*innen-Suche | Ergotherapie Austria und hier gibt es Antworten auf die häufigsten Fragen: FAQ | Ergotherapie Austria

Ein schöner Moment in meiner Arbeit…

Anfang März nach einem schneearmen Winter befand sich eine hochbetagte Dame kurz vor dem Sterben. Sie hatte nur mehr wenig Kraft und „wartete“ täglich auf den Tod.  Sie erzählte mir, dass sie so gern noch einmal den Schnee gesehen hätte. Es ging ihr nach ein paar Tagen wieder besser und genau an diesem Tag schneite es. Wir ermöglichten ihr, sich in bequemer Position in den Lehnstuhl ans Fenster zu setzen, um die Schneeflocken besser beobachten zu können. So ließen wir sie kurz sitzen. Als wir nach einer halben Stunde wieder nach ihr sahen, war sie gestorben. Mit einem Lächeln auf den Lippen.

Brigitte Loder Fink, MSc ist Ergotherapeutin und seit 2014 Dozentin (FH) am Institut Ergotherapie an der FH Joanneum am Standort Bad Gleichenberg. Aktiv ist sie in der Umsetzung diverser Projekte mit den Themenschwerpunkten Healthy Aging, Demenzforschung, Kompensation altersbedingter Einschränkungen, Lebensqualität im Alter und Gesundheitsförderung.

Ab Oktober 2022 leitet sie die Vertiefungsstufe für medizinisch-therapeutische Berufe im Rahmen des Universitätslehrgangs Palliative Care

https://www.ulg-palliativecare.at/studium/vertiefungslehrgang-medizinisch-therapeutischeberufe