Hospiz- und Palliativeinrichtungen in Österreich

Der Suchprozess ist das Wertvolle

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Was bei Eva Würnitzer zuallererst ins Auge sticht, für alle sichtbar ist, sind ihre feuerroten Haare, die in einer sehr coolen Frisur ihr Gesicht umrahmen. Nicht gleich ersichtlich ist ihre jahrzehntelange Erfahrung als Supervisorin, Psychotherapeutin und Sozialpädagogin.

Ich treffe sie im virtuellen Raum, in unserem Gespräch geht es um die Frage: „Wozu eigentlich Supervision?“.

Liebe Eva, ich höre immer wieder Mitarbeiter*innen klagen: „Supervision ist eine Zwangsbeglückung, die bringt uns gar nichts“. – Ich kann diese Erfahrung nicht teilen, finde es aber interessant, dass diese Bewertung immer wieder zu hören ist. Kennst Du diese Sätze auch und kannst Du Dir vorstellen, woher diese Einstellung kommt?

Ja, ich habe gehört, dass solche Aussagen getätigt werden. Woher das kommt, kann ich nicht mit Sicherheit sagen, aber ich vermute, es hat damit zu tun, dass in manchen Organisationen oder bestimmten Arbeitsfeldern die Tradition der professionellen Reflexion fehlt.

Wie meinst Du das?

Nun, wenn eine Organisation, eine Station oder ein Team keine „Supervisions-Tradition“ hat, dann funktioniert „übergestülpte Supervision“ oft nur schwierig. Wenn Supervision verordnet wird, ohne dass ein Implementierungsprozess oder eine schon vorhandene Tradition dahinter ist, erleben Mitarbeiter*innen Supervision oft als Kontrollinstrument oder erkennen ihren Sinn nicht. Dann kann große Skepsis gegenüber der gemeinsamen Reflexion von Arbeit entstehen und es schwierig sein,  „Verbindungen“ herzustellen.

Verbindungen?

Im Idealfall unterstützt Supervision die Mitarbeiter*innen ja dabei, Zusammenhänge herzustellen – Verbindungen zwischen dem täglichen Tun der einzelnen Teammitglieder, dem gesamten Team und den daraus entstehenden Dynamiken. Ich erlebe, dass in der Arbeit häufig „Ansteckendes“, also emotional, psychisch Ansteckendes passiert und jene, die im Arbeitsprozess stehen, das aber nur schwer erkennen und somit kaum allein bearbeiten können.

Weil sie direkt betroffen sind…

Richtig. Da kann meist nur eine externe Begleitperson diese, durch das eigene Eingebunden sein entstandenen, „blinden Flächen“ erhellen. Supervision bietet einen geleiteten Rahmen, der einem ermöglicht, Dynamiken in der Arbeit zu erkennen, zu bearbeiten und zu reflektieren.

Gibt es nach Deiner Erfahrung Bereiche, die Supervision „notwendiger“ haben, als andere?

Nein, ich sehe, dass in allen Bereichen, in denen mit Menschen gearbeitet wird, Supervision wertvoll und wichtig ist. Was ich jedoch immer wieder – gerade im Hospiz und Palliative Care Bereich – höre, ist, dass die Mitarbeiter*innen sagen: „Was wir erleben, das versteht eh niemand!“.

Womit hat das zu tun, was meinst Du?

Ich kann mir vorstellen, dass es mit der Arbeit an Grenzen, also an den Grenzen der Existenz, zu tun hat.

Ich habe gerade das Bild einer Blase vor Augen…

Ja, genau! Ich erlebe das auch oft bei pflegenden Angehörigen – dieses „Nur ich weiß, wie es geht“ „Niemand weiß so gut, wie ich, was getan werden muss und wie die Arbeit aussieht“. – Das Bild der Bubble passt gut. – Ich kann mir vorstellen, dass das eine Auswirkung der engen, intimen Beziehung ist, die durch diese Arbeit zu den Patient*innen entsteht. Es werden zwar die Schwierigkeiten, Unwägbarkeiten und irritierenden Dynamiken wahrgenommen, aber eben nicht so, dass sie sichtbar, greifbar und bearbeitbar sind.

Wenn dann außerdem in der Organisation eine Supervisions-Tradition oder das Commitment fehlt, dass Supervision – also das Besprechen der unterschiedlichen Gefühle und Dynamiken, die in der Arbeit entstehen – wichtig und wertvoll ist, dann wird es schwierig?

Wenn wir davon ausgehen, dass Supervision sowohl den Menschen als auch den Organisationen als Werkzeug zur Prävention dienen kann, dann ja.

Als Werkzeug zur Prävention?

Als Präventionswerkzeug, wenn es zum Beispiel um die Arbeitsfähigkeit der Mitarbeiter*innen und Qualitätssicherung der Arbeit geht. Wenn eine Organisation Supervision implementieren will, muss sie sich damit auseinandersetzen, wie dieses Instrument am sinnvollsten einzusetzen ist – wer die Zielgruppe, was Inhalt der Supervision sein soll, usw.. Organisationen brauchen zu der Frage, wie die Arbeit und Arbeitsfähigkeit (und damit Gesundheit) der Mitarbeiter*innen durch Supervision am besten unterstützt werden kann, oft selbst Beratung.

Der gesamte Reflexionsprozess, der durch diese Fragen sowohl für die Organisation als auch in weiterer Folge für die Mitarbeiter*innen entsteht, kann der Prävention dienen.

Das klingt intensiv. Wann ist für Dich der Zeitpunkt, die Arbeit mit einer Supervisionsgruppe zu beenden?

Das hängt immer vom jeweiligen Kontext ab. Grundsätzlich achte ich immer darauf, die Position der Fragenden zu behalten. Sobald ich merke, dass sich meine Rolle von der Fragenden zu jener der Antwortenden verändert, ist es Zeit für einen Wechsel.

Dann wird es zu bequem – für mich und für das Supervisions-System. Wenn die Supervisand*innen Fragen stellen und ich antworte, bringt uns das nicht weiter. Die Aufgabe von Team und  Supervisor*in gleichermaßen ist es, auf der Suche zu sein. Der Suchprozess ist das Wertvollste der Supervision.

Eva, vielen Dank für das Gespräch!

Eva Würnitzer MSc
Seit 1990 Supervisorin im Gesundheitsbereich und psychosozialen Arbeitsfeldern