Hospiz- und Palliativeinrichtungen in Österreich

Mit einem Schlag ist alles anders – Palliative Care & schwerer Schlaganfall

veröffentlicht am

„86jähriger Patient, noch selbständig im Alltag mit nun schwerem Schlaganfall und ohne klinische Besserung nach Thrombolyse. Halbseitenlähmung, Sprach- und Bewusstseinsstörung.“ Das sind die Informationen des betreuenden Neurologen. Ich treffe mich mit ihm, der Gattin und dem Sohn des Patienten auf der Stroke Unit. Dort liegt Herr W. in einem Überwachungsbett. Monitore zeichnen seine Körperfunktionen auf.

Schwerer Schlaganfall führt plötzlich zu schwersten Zustandsveränderungen – oft mit beeinträchtigter Kommunikations- und Entscheidungsfähigkeit. Die Wahrscheinlichkeit für bleibende Beeinträchtigungen ist hoch, Versterben nicht unrealistisch.

Herrn W.s Angehörige sind noch überwältigt von dem akuten Ereignis. Der Neurologe legt die aktuelle medizinische Situation dar: aufgrund der Ausdehnung des Schlaganfalls, des Alters und der klinischen Entwicklung ist die Situation kritisch. Mit zeitnahem Versterben ist zu rechnen – bei Überleben mit dauerhafter schwerer Pflegebedürftigkeit. Gesundheitliche Vorausverfügungen liegen nicht vor. Im Gespräch, bei dem auch Biografie und Werte von Herrn W. thematisiert werden, einigen wir uns gemeinsam, auf weitere intensivmedizinische Maßnahmen zu verzichten. Herr W. war immer sehr selbstbestimmt. Seit dem Krebstod seiner geliebten Tochter hat er angesichts seines erfüllten Lebens wiederholt vom Sterben gesprochen.

Bei schwerem Schlaganfall haben Angehörige keine Zeit, sich an die veränderte Situation anzupassen. Mit ihnen unbekannten Behandlungsteams müssen sie plötzlich Entscheidungen im besten Sinne der Erkrankten treffen. Sie brauchen Behandlungsteams, die sie trotz prognostischer Unsicherheit gut durch die Entscheidungsprozesse leiten.

Eine Entlassung nach Hause ist leider nicht realisierbar, da so kurzfristig keine adäquate Pflege für den nun stark pflegebedürftigen Herrn W. organisiert werden kann. Nach seiner Verlegung ins Schwerkrankenzimmer der neurologischen Normalstation kann ihn seine Familie in den letzten Lebenstagen begleiten. Sogar eine Kuscheleinheit mit dem erst 2 Monate alten Urenkel ist noch möglich. Ärzt*innen und Pflegende des Palliativkonsiliardienstes unterstützen das neurologische Team bei Fragen zur Symptomtherapie und in der Begleitung und Kommunikation mit der Familie. Zehn Tage nach dem akuten Schlaganfall verstirbt Herr W. ruhig in Anwesenheit seines Sohnes.

An schwerem Schlaganfall Erkrankte und ihre An- und Zugehörigen haben besondere – oft unerkannte – palliative Bedürfnisse1. Das Bedürfnis, trotz eingeschränkter Entscheidungs- und Kommunikationsfähigkeit und unsicherer Prognose, Entscheidungen zu treffen, die den Wünschen und Werten der Erkrankten entsprechen, sind dabei besondere Herausforderungen für die Behandlungsteams2. Unsere Begleitung und Unterstützung benötigen auch An- und Zugehörige, die an stellvertretenden Entscheidungen beteiligt werden möchten, selbst wenn sie diese als schwierig erleben. Überlebende eines schweren Schlaganfalls hingegen leiden oft noch lange nach dem Akutereignis nicht nur unter Lähmungen, Sprach- oder Schluckstörungen – sondern auch unter Schmerzen, Depression oder Fatique1.

Alle, die an der Versorgung von an schwerem Schlaganfall Erkrankten beteiligt sind, benötigen daher Kompetenzen in Palliative Care. Empfehlungen dazu gibt es bereits von amerikanischen und kanadischen Fachgesellschaften3,4.

Die Beschäftigung mit diesem bislang noch wenig beforschten Bereich von Palliative Care hat mir gezeigt, wie in Akutsituationen patientenzentriertes Arbeiten und Entscheiden möglich ist. Ich habe Strategien erlernt, wie man mit unsicherer Prognose und eingeschränkter Entscheidungs- und Kommunikationsfähigkeit umgehen kann – ein Benefit für meine Arbeit im Palliativkonsiliardienst und auf der Palliativstation!

Dr.in Renate Riesinger, MSc, ist als Palliativmedizinerin im Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern Ried im Innkreis tätig. Sie hat sich in ihrer Masterarbeit mit der Thematik Palliative Care und schwerer Schlaganfall beschäftigt und auch dazu publiziert2.

1 Siegel, C. L., Besbris, J., Everett, E. A., Lavi, E. S., Mehta, A. K., Jones, C. A., … & Kramer, N. M. (2021). Top Ten Tips Palliative Care Clinicians Should Know About Strokes. Journal of palliative medicine.
2 Riesinger, R., Altmann, K., & Lorenzl, S. (2021). Involvement of Specialist Palliative Care in a Stroke Unit in Austria—Challenges for Families and Stroke Teams. Frontiers in Neurology12.
3 Boulanger, Jean-Martin et al. (2018). Canadian stroke best practice recommendations for acute stroke management: prehospital, emergency department, and acute inpatient stroke care, update 2018. International Journal of Stroke, 13(9), 949-984.
4 Holloway, Robert G. et al. (2014). Palliative and end-of-life care in stroke: a statement for healthcare professionals from the American Heart Association/American Stroke Association. Stroke, 45(6), 1887-1916.

Foto : ©pixabay