Hospiz- und Palliativeinrichtungen in Österreich

Die Generalist*innen – Armut, Sozialarbeit und Hospiz- und Palliativversorgung

veröffentlicht am

Armut hat nicht nur mit fehlendem Geld zu tun, sie geht weit über den wirtschaftlichen Aspekt hinaus. Armut spiegelt sich auch in Benachteiligungen von Menschen im sozialen, kulturellen und politischen Leben wider. Die Teilhabe daran ist aber fundamental in der Konstruktion einer persönlichen und sozialen Identität.

Dass viele von Armut Betroffene auch erschwerten oder keinen Zugang zum Gesundheitssystem haben, hat nicht zuletzt auch in der Palliativversorgung Auswirkungen. In diesem Blogbeitrag geht es um einen Fall im VinziDorf Hospiz, der diese Realität verdeutlicht, aus der Perspektive einer betreuenden Sozialarbeiterin.

Fernanda Rodrigues Weiss, Sozialarbeiterin bei den Elisabethinen in Graz und Sozialarbeiterin im VinziDorf Hospiz in Graz, erzählt:

Eine ehrenamtliche Kollegin und ich als Sozialarbeiterin besuchen die Bewohner*innen im VinziDorf Hospiz einmal pro Woche. Dort sprechen wir üblicherweise mit den Bewohner*innen über ihre aktuellen Bedürfnisse und tauschen uns auch mit der 24-Stunden-Betreuerin vor Ort und den Hospiz-Ehrenamtlichen aus.

Es war im Winter 2018, als wir – das VinziDorf Hospiz Team – über unser bundesweites Netzwerk eine Anfrage zur Aufnahme ins Hospiz erhielten. Ein paar Tage später wurde der neue – und bis dahin jüngste – Bewohner in unserem Hospiz aufgenommen. Etwas über 25 Jahre alt, war Sergej* einer von vielen anderen Bewohner*innen, die wir im VinziDorf Hospiz betreut haben, die in tiefer Armut lebten.

Das erste Mal hatte ich Kontakt mit Sergej bei seiner Aufnahme ins Krankenhaus; er war sichtlich verängstigt, wirkte aber gleichzeitig auch erleichtert. Ich konzentrierte mich auf seine Sozialanamnese und beriet ihn in Bezug auf seine sozialrechtliche Situation. In diesem Gespräch ging es darum, ihn durch seine persönliche Geschichte ein wenig kennen zu lernen. Wir sprachen über seine Wohnsituation, Familie und sozialen Kontakte. Sergej sagte, dass er keine Familie in Österreich habe, nur einige Bekannte in Wien.

Weiters erzählte er uns von seiner turbulenten Kindheit und Jugend in Tschechien, besonders nach dem frühen Tod seines Vaters. Bis seine Mutter wieder heiratete, lebte Sergej mit seiner Mutter und seiner älteren Schwester im selben Haus. Sergej hatte schon von klein auf den Plan, sich ein neues Leben weit weg von dort aufzubauen.

Und so tat er es: Er wartete, bis er volljährig war, lieh sich etwas Geld und ging. Hoffnungsvoll brach er in eine ungewisse Zukunft auf, wollte seiner Familie aber nicht zur Last fallen und brach daher den Kontakt ab. Er lebte und arbeitete fast 10 Jahre lang illegal als Bauarbeiter in Deutschland, Italien und schließlich in Österreich.

Eines Tages wurde er bewusstlos auf einem Platz in Wien gefunden, in ein Krankenhaus gebracht und bekam nach einigen Untersuchungen die Diagnose einer nicht heilbaren Erkrankung. Wieder einmal waren wir (im Krankenhaus der Elisabethinen) mit der altbekannten Situation konfrontiert, dass er aufgrund seiner Nationalität und seines illegalen Aufenthaltsstatus offiziell keinen Anspruch auf Palliativversorgung hatte.

Nach einem kurzen Aufenthalt im Krankenhaus der Elisabethinen wurde Sergej in das VinziDorf-Hospiz entlassen. Dort hatten wir unseren zweiten Kontakt: Ich traf einen sichtlich geschwächten Sergej. An diesem Tag erfuhr ich durch ein Gespräch mit ihm und seiner 24-Stunden-Betreuerin ein wenig mehr über seine Geschichte und sein Leid.

Vom ersten Moment an hat Sergej klargestellt, dass wir keinen Kontakt zu seiner Familie und seine Bekannten aufnehmen dürften und er wollte auch selbst keinen herstellen. Auch wenn es uns besonders betroffen machte, respektierten wir seinen Wunsch. Als Grund nannte er, dass er sich dafür schämte, dass er das von seiner Mutter ausgeborgte Geld, mit dem er eine neue Zukunft beginnen wollte, nicht mehr rechtzeitig zurückzahlen konnte. 20 Tage nach seiner Aufnahme im Krankenhaus der Elisabethinen starb Sergej im VinziDorf-Hospiz.“

*Name geändert

Das Fallbeispiel zeigt, dass Sozialarbeit im Rahmen der Hospiz- und Palliativversorgung eine vielschichtige, multidimensionale Aufgabe darstellt und eine wichtige Ergänzung für die multiprofessionellen Teams der Hospiz und Palliativversorgung ist. „Sozialarbeiter*innen arbeiten in verschiedenen Kontexten, je nach Aufgabenstellung finden Hausbesuche, persönliche Gespräche, telefonische oder schriftliche Kontakte statt. Da Lebensweltnähe und Alltagspräsenz in der Sozialen Arbeit ein hoher Stellenwert eingeräumt wird, sind Hausbesuche vor allem in der mobilen Hospiz- und Palliativbetreuung obligat. […] Sozialarbeiter*innen beraten und begleiten, erkennen die individuellen und sozialen Bedürfnisse der Betroffenen und ihrer Bezugspersonen und versuchen, gemeinsam mit dem interprofessionellen Team, die Lebensqualität der betroffenen Menschen zu erhalten oder sogar zu verbessern.“

(vgl. „Soziale Arbeit in Hospiz und Palliative Care. Standards, Kompetenzen- und Tätigkeitsprofil“ Hrsg. OPG, 2018)

Fernanda Rodrigues Weiss, BA
Sozialarbeiterin
Krankenhaus der Elisabethinen GmbH – Standort I
Palliativstation, Palliativkonsiliardienste & VinziDorf Hospiz

 Fotocredit: Fernanda Rodrigues Weiss