Hospiz- und Palliativeinrichtungen in Österreich

Ein Jahr ohne dich – 365 Tage mit Dir

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Wieso so lange, wieso so kurz? Wie kann man Trauer überhaupt zeitlich bemessen?

Wer soll vorgeben, wie lange jemand trauern soll? Wieso genau ein Jahr? Wieso ein Jahr schwarz tragen? …. und dann soll alles wieder gut sein? Nie darüber nachgedacht haben zu müssen war bis jetzt sicherlich ein Privileg. Wahrscheinlich hatte ich nach dem Tod meines Mannes letzten Jahres auch noch nicht so richtig verstanden, was das wirklich bedeutet…. das Trauerjahr.

Alles verschwommen, die Zeit steht still und alles dreht sich doch weiter, der Radio spielt. „Just stop your crying, its a sign of the time“ von Harry Styles. „Hör doch auf zu weinen, Baby, das ist halt ein Zeichen der Zeit.“ Der Song, der im Radio lief, als ich vom Arzt die immer so gefürchteten Worte hörte: „Er ist austherapiert, wir können nichts mehr für ihn tun. Vielleicht sind es noch 14 Tage…“

“Hör doch auf zu weinen, Baby, das ist halt ein Zeichen der Zeit“ ein Zeichen der Zeit… „Denk dran, alles wird wieder gut werden. Irgendwo können wir uns wieder über den Weg laufen. Irgendwo, weit, weit weg von hier.“ Und der Radio lief weiter … und die Welt drehte sich weiter… einfach so…. ohne ihn.

Heute, ein Jahr später wird mir allmählich klar, was das wirklich bedeutet: 365 Tage ohne Dich. Und ein Jahr täglich mit Dir in meinem Herzen und meinen Gedanken überlebt zu haben.

Wie war das überhaupt möglich? Wie kann die Welt sich weiterdrehen ohne Dich?

Überlebt und weitergemacht, jeden Tag aufgestanden, jeden Tag Dein Bild am Bett und jeden Tag noch immer Deinen Ring getragen. Vieles erreicht, mehr erlebt als geplant, viele Tränen geweint und viel Wärme im Herzen durch Deine Liebe gespürt…. jeden Tag.

Der erste Sommer ohne Dich, der erste Prosecco ohne Dein Lächeln, die ersten goldenen Blätter, die im Herbst am Boden liegen und nicht mehr von Dir fotografiert wurden. Die ersten Lichterketten, die sich in Deinen Augen nicht mehr spiegeln konnten, das erste Weihnachtsfest und der erste Jahresanfang ohne Dich.

An Deinem Geburtstag an deinem Grab gestanden, anstatt mit Dir im Bett gefrühstückt zu haben… und Ostern auch …. irgendwie …. überstanden. Jeder Tag im ersten Jahr ist etwas Besonderes, weil jeder Tag zum ersten Mal ohne Dich verlaufen ist. Weil jede Jahreszeit ohne Dich das erste Mal beginnt.

Ich fühlte mich unantastbar, geschützt in der Gesellschaft durch dieses magische Wort „Trauerjahr.“

Meine Reaktionen auf die Umwelt bedurften keiner Erklärung, meine Traurigkeit und auch meine Freude wurde nicht hinterfragt. Meine Zerbrechlichkeit konnte ich durch meine starke Fassade schützen.

Die Tabuisierung des Todes und die Wortlosigkeit der Gesellschaft mir gegenüber stellten mich in einen Ausnahmezustand, den ich durchaus genossen habe. Eine Woge der Sicherheit umgab mich.

Meine Zeit, meine Geschwindigkeit, meine Wege und meine Ruhe.

Ich brauchte nicht reden, wenn ich nicht wollte, ich brauchte nicht fröhlich sein, wenn mir nicht danach war. Keiner fragte, keiner missbilligte.

„Hör doch auf zu weinen, Baby, es ist ein Zeichen der Zeit“ … Und dann stand ich an Deinem Grab und es war Dein Todestag.

Die weißen Luftballons, die vor einem Jahr zu Dir in den Himmel gestiegen sind und die weißen Rosen, die für unsere Liebe standen, waren wieder präsent.

Durchaus Angst umgab mich vor diesem absurden, aber doch so realen, unwiderruflichen „Jahrestag“. Jeder Blick, jede Berührung, jeder Albtraum und jeder Hoffnungsschimmer von damals waren plötzlich wieder präsent. Als stündest Du vor mir und schautest mich mit Deinen voller Liebe, aber auch voller Traurigkeit gefüllten Augen an. „Hör doch auf zu weinen, Baby, es ist ein Zeichen der Zeit.“

365 Tage später, ein ganzes Jahr. Ein Jahr so unendlich lang und doch so erschreckend kurz.

Welch dehnbarer Begriff scheint das Wort „Zeit“ zu sein und wie unbedeutend erscheint es im Verhältnis zu unserer Liebe und unserer Ewigkeit. Nun ist dieses „Trauerjahr“ vergangen, 365 Tage danach… schwebend und getragen von Deiner Liebe und von dem Schmerz, Dich vermissen zu müssen.

Soll nun die Trauer vorbei sein? Soll nun alles wieder gut sein? Es ist vieles gut, ich fühle mich gut. Aber es ist trotzdem anders. Als würde die Trauer zur Gewohnheit werden, zu einem Teil von Dir, den Du nicht mehr hergeben möchtest… als würde Zeit die Sache leichter machen.

Das Trauerjahr ist vorbeigezogen, gepaart mit einer gewissen Erleichterung, diese ersten 365 Tage ohne Dich überwunden zu haben. Über – wunden! Die Zeit heilt die Wunden? Nein – Die Wunden wurden nicht geheilt. Ich lernte mit den Wunden zu leben, die Narben zu pflegen und mich um sie zu kümmern – nur so kann ich damit leben. Und jeden neuen Tag, den ich ohne schlechtes Gewissen glücklich und fröhlich bin, trage ich meine Wunden und meine Liebe in mir weiter…. Meine Narben…. meine Zeichen unserer Zeit.

Die Erkenntnis, es nicht ändern zu können ernüchtert mich, scheint mich abzuhärten, macht mich aber auch stärker. Stärker, meinen Schmerz und meinen Verlust an Dir anzunehmen.

Der Tod kann die Liebe nicht nehmen.

„Hör doch auf zu weinen, Baby, es ist ein Zeichen der Zeit“ …

So schrieb Christiane Ortner im Mai 2018.

Heute schreibt sie:

Wie ich damals überhaupt zum Hospiz kam? – Plötzlich rief eine Heike an… vom Hospiz Verein Steiermark. Sie möchte mich begleiten, in der Trauer und beim Abschied von meinem Ehemann. In dem Moment war ich überfordert. Aber plötzlich bin ich froh, dass ich Heike habe und sie anrufen kann. Sie hat mir sehr gut getan und ich finde die Arbeit vom Hospiz einfach großartig!
Im Mai 2017 ist mein Mann gestorben, heute – mehr als zwei Jahre danach – geht es mir unglaublich gut. Das erste Jahr – das Trauerjahr – war für mich extrem wichtig. Das war „mein“ Jahr, alle Gefühle gehörten nur mir und ich nahm mir und brauchte auch diese Zeit.
Ende 2018 durfte ich unerwartet, plötzlich und unvorbereitet  einen ganz besonderen Menschen kennenlernen – meinen jetzigen Lebensgefährten, mit dem ich seit sehr langer Zeit wieder das unbeschreibliche und schönste Gefühl von Glück und Liebe erfahren darf.
Einfach nur dankbar für meine Geschichte und für ihn im Hier und Jetzt.

Christiane K. Ortner
42 Jahre, Mutter von 2 Kindern, selbstständige Immobilienmaklerin

Copyright Foto: privat


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